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Szenenfoto aus "Yggdrasil" von cocon-Kultur in Gaisruck/ Hausleiten
Szenenfoto aus "Yggdrasil" von cocon-Kultur in Gaisruck/ Hausleiten
03.09.2022

Die einzigen Kronen von Wert sind jene von Bäumen

„Yggdrasil“ – eine poetisch-mystische und doch so brandaktuelle berührende, bewegte und bewegende Theaterperformance unter Bäumen im niederösterreichischen Hausleiten/ Gaisruck.

Das Stück kann erst beginnen, wenn es dämmert, der Tag in die Nacht übergeht. Sonst funktioniert ein wichtiger Teil nicht wirklich – Projektionen. Lichtspiele auf die Bäume des bewaldeten Hügels „Zum Himmelreich 1“. So heißt dieser Weg in Gaisruck, das zur Gemeinde Hausleiten in Niederösterreich zwischen Stockerau und Absdorf-Hippersdorf, ganz wirklich. Nicht erfunden. Aber treffender könnt’s gar nicht sein. (Spielzeiten und -ort siehe Info-Block am Ende des Beitrages.)

„Yggdrasil“ (Weltenbaum aus der nordischen Sagensammlung Edda) ist ein poetisch-mystisches Schau- und Bewegungsspiel mit atmosphärischer Live-Musik (E-Bass und Querflöte: Tahereh Nourani) zwischen Mensch und Natur. Nicht esoterisch, sondern auf die immer drängender werdende Kernfrage konzentriert, wie wir mit unserer Umwelt umgehen, ohne das Überleben ganz aufs Spiel zu setzen.

Zwischen Wiese und Waldhügel

Das Publikum sitzt auf Klappsesseln auf der Liegewiese des gar nicht so großen Beckens des Schwimmbades neben dem hölzernen Kultur- und vor allem Veranstaltungsstadel. Zischen den Bäumen des besagten Hügels tauchen zunächst die Erzählerin (Monica Anna Cammerlander), Menschling (Johanna Prosl) und Narr (Moritz und Leon Lembert) auf. Menschling auf der Suche sozusagen nach der Erkenntnis, gepackt in ein großes, altes Buch, das Menschling – bewusst weder Frau noch Mann, genauso wenig alt oder jung – wie den größten Schatz hütet. Ohne je wirklich hinein zu schauen. Die Suche scheint auch mehr nach innen gerichtet zu sein. Wer bin ich? Was will ich? Und kann ich vielleicht mit den Bäumen kommunizieren?

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Yggdrasil“

Die Tiefe der Fragen, die vor allem durch Schauspiel, Bewegung, Musik und Projektionen angesprochen werden, wird immer wieder heiter-sarkastisch von Narr gebrochen. Das Duo, kostümmäßig aneinander gekettet wie siamesische Zwillinge, sorgt für viele Lacher. Wo will ich hin – nach rechts oder dem anderen rechts? Reichen zwei Schuhe für die Füße – die ja eigentlich vier sein müssten?

Menschling und Gefühle

Menschling begegnet auf der Reise zur Erkenntnis der plötzlich aus einem der Bäume auftauchenden Angst (Rino Indiono), der sich dort gut eine ¾ Stunde ziemlich gemütlich eingerichtet hat und zwischen Ästen bzw. zu weiteren Bäumen gespannten Seilen akrobatisch sattelfest bewegt, Menschling sozusagen im Nacken sitzend. Als der Bewegungskünstler herabsteigt und den Boden berührt, schwankt, ja fällt er, muss von Menschling gestützt werden, bis er auf eigenen Beinen stehen kann – und mit Menschling zu tanzen beginnt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Yggdrasil“

Gier

Fast genauso überraschend wie Angst aus dem Geäst auftaucht, fällt das Licht auf die über dem in den Hügel gebauten, gemauerten Keller thronende königliche Gier (Deborah Gzesh). Reich ist sie. Aber verzweifelt. Weil sie Opfer ihrer Lust ist, immer mehr und mehr haben zu wollen. Und darunter leidet „nur“ fast alles zu besitzen. So will sie Menschling auch den einzigen Schatz, das Buch, abnehmen. Was ihr trickreich auch gelingt. Obwohl die Gier nicht lesen kann.

Liebe

Als drittes zentrales Gefühl tritt die Liebe (Aiko Kazuko Kurosaki) in Erscheinung. Anfangs sehr, sehr eingeengt durch viele Umwicklungen (braut)weißer Schleier, kann sie sich erst nach und nach daraus befreien um fröhlich und glücklich zu tanzen – zu Erich Frieds berühmtem Gedicht „Es ist, was es ist, sagt die Liebe …“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Yggdrasil“

Noch zwei zentrale Sätze aus dem Stück, die noch lange nachklingen, einer davon stammt aus der nordischen Erzählung selbst: „Die Welt reicht nur so weit, wie die Zweige und Wurzeln der Bäume/des Weltenbaumes reichen.“ Und ein anderer – als Gegenpol zur Gier: „Die einzigen Kronen, die wirklich zählen, sind die der Bäume.“

Bäume als Kind-Freunde

Die Idee und das Konzept zu diesem Stück stammt von Emel Heinreich-Lassy, die auch Regie führte (Stücktext: Helen Brugat, die auch die Produktion leitete). Im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I und mehr … erzählt sie über den wirklichen Ursprung dieses Stückes. „Als Kind bin ich in Istanbul in einem riesigen Garten aufgewachsen. Die Bäume waren meine Freunde.“ Mit 22 Jahren flüchtete sie aus politischen Gründen – und landete in Wien. „Als ich dann ein paar Jahre später Istanbul besuchte, waren all diese Bäume, war der Garten weg. Straßen, Beton. Es war, als hätte ich meine Beine und Arme verloren. Ein zweitere Verlust meiner Heimat, ja auch des Gedächtnisses meiner Kindheit.“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Yggdrasil“

Kulturen

Emel Heinreich-Lassy, die seit Jahrzehnten schauspielt, vor allem aber eigene Theaterprojekte initiiert und umsetzt (Cocon-kultur) begann sie intensiv, ausführlich und umfassend mit Bäumen, ihre Bedeutung für das Leben in der Natur und für Menschen sowie ihre Darstellung in verschiedensten Kulturen zu beschäftigten. Und ist dabei unter anderem auf die Lebens-Esche Yggdrasil in nordischen Erzählungen gestoßen: Dieser Baum, der sozusagen Himmel, Erde und Unterwelt womit vor allem das vernetzte Wurzelwerk der Bäume und ihre – noch immer zu wenig bekannte – Kommunikation untereinander gemeint ist – zusammenhält als die zentrale Achse der Weltkugel. „Mir war aber auch die Verbindung zwischen Menschen und Bäumen und die Suche des Menschen nach der Verbindung zu sich selbst sehr wichtig“, so die Regisseurin dieser berührenden, beeindruckenden Stunde in der Natur (bei Schlechtwetter dann leider nur im Stadel).

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Yggdrasil“

Zufallsbegegnung

Schon vor mehr als zehn Jahren hatte sie das Konzept für dieses Stück beim Kulturamt der Stadt Wien eingereicht. Und wurde abgelehnt, der Bezug zu nordischen Sagen sei dort auf zu große Skepsis gestoßen mit der Begründung, dass sich auch die Nazis bei der nordischen Götterwelt bedient hätten.

In der Corona-zeit übersiedelte Emel Heinreich-Lassy nach Pettendorf, das ebenso zur Gemeinde Hausleiten gehört und begegnete dort zufällig Helen Brugat, die seit 30 Jahren in Seitzersdorf-Wolfpassing, das auch zu hausleiten gehört, wohnt. Aus der Theaterszenen kannten beide einander schon noch länger. Erstere erzählte von ihrem Theaterprojekt, Zweitere übernahm die Produktion und die Stückfassung.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Yggdrasil

Idee, Konzept und Regie: Emel Heinreich-Lassy

Menschling: Johanna Prosl
Erzählerin: Monica Anna Cammerlander
Gier: Deborah Gzesh
Narr: Moritz und Leon Lembert
Angst: Rino Indiono
Liebe: Aiko Kazuko Kurosaki

Text & Produktionsleitung: Helen Brugat
Live-Musik: Tahereh Nourani
Projektionen: Sigrid Friedmann, Ulrich Kaufmann
Bühnenbild und Kostüme: Markus Kuscher
Licht & Ton: Christian Stipsits
Regie-Assistenz: Linda Fress

Wann & wo?

Bis 4. September 2022
Beginnzeit ca. 20 Uhr
3464 Hausleiten/Gaisruck, Zum Himmelreich 1 (Kulturstadl beim Bad, Open Air: Liegeweise des Bades)

Reservierungen: 0676 473 71 50
produktion@cocon-kultur.com
bzw. Abendkassa im Kulturstadl
cocon-kultur.com