Kommentar rund um die Diskussion zur österreichischen Staatsbürger:innenschaft.
Alle paar Monate taucht sie auf, die Diskussion um die österreichische Staatsbürger:innenschaft. Tatsache ist, dass ein Viertel der – teils schon seeehr lange – hier lebenden Bevölkerung gleiche Pflichten, aber weniger Rechte hat. Steuern zahlen ja, wählen nein. In Wien ist sogar jede/r Dritte vom Wahlrecht ausgeschlossen. Nicht zuletzt sind sehr viele Kinder und Jugendliche – ab 16 dürften sie wählen – davon betroffen. Sehr oft schon hier geboren, meist aber jedenfalls den überwiegenden Teil ihres Lebens hier aufgewachsen, die Herkunftsländer ihrer Eltern kennen sie – wenn überhaupt – nur von Ferienaufenthalten oder kurzen Verwandtenbesuchen. So das überhaupt möglich ist; wenn die Mutter und/oder Vater nicht gar aus einem Kriegsland wie Syrien oder Afghanistan stammt.
Viel wurde in den vergangenen Tagen dazu schon gesagt und/oder geschrieben – ein paar Fakten weiter unten.
Übrigens von wegen Staatsbürgerschaft verdienen: Jener junge Mann, der beim Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 einen angeschossenen, schwer verletzten Polizisten unter eigener Lebensgefahr aus der Gefahrenzone herausgezogen hatte, Osama Abu El Hosna, hat noch immer seine Staatsbürgerschaft nicht erhalten – siehe Link zum Interview vor einem halben Jahr.
Ein Gesichtspunkt scheint mir bisher noch nicht so wirklich „gewürdigt“ worden zu sein, der weit über das Thema Staatsbürgerschaft hinausgeht. Niedriger Zugangshürden, erleichterte Bedingungen würden diese „entwerten“ hieß es mehrfach.
Dahinter kann doch nur ein sehr materialistischer Zugang stecken. Gold ist mehr wert als Sand, weil es von letzterem viel, von ersterem weniger gibt. Aber wieso soll das für Rechte gelten? War das Wahlrecht mehr wert, als Jugendliche oder gar Frauen es noch nicht hatten und es damit nur für weniger als die Hälfte der Bevölkerung galt?
Sind die Menschenrechte heute weniger wert als am 10. Dezember 1948, als deren allgemeine Erklärung von den Vereinten Nationen (UNO) verabschiedet wurde mit dem Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Damals lebten 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt, heute sind es mehr als drei Mal so viele.
Im September 2020, kurz vor der letzten Wahl zum Wiener Gemeinderat und Landtag verwies der Politikwissenschafter (Uni Innsbruck und Wien) Jeremias Stadlmair darauf hin, dass Österreich zu den Ländern mit den einschränkendsten Bestimmungen gehört, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen. In seiner Uni-Assistenten-Zeit hätte er die Einkommensgrenzen auch nicht erreicht. Etwa ein Drittel aller österreichischen weiblichen Angestellten und fast die Hälfte aller Pensionistinnen würden ebenfalls die für die Staatsbürgerschaft erforderlichen Einkommenshürden – Ausgleichszulage (966,65 €) plus regelmäßige Aufwendungen wie Miete usw. – nicht überspringen (hier zitiere ich meinen eigenen Beitrag, der damals noch im Kinder-KURIER erschienen ist – Link dazu weiter unten).
Der Jugendliche Ufuk hat damals mit dem Rap-Duo TwoScales ein Musik-Video „30 %“ gedreht – als Teil der Kampagne der Wiener Jugendzentren gegen diese Ungerechtigkeit, dass jede/r Dritte keine Stimme bei der Wahl abgeben durfte – Zitate Jugendlicher von damals in den verlinkten Beiträgen.
KiKu -> pass-egal-wahl-in-einer-schule
KiKu -> Warum-duerfen-wir-nicht-waehlen
KiKu -> Gewählte Schulsprecher:innen wollen auch außerhalb der Schulen wählen dürfen
Das Staatsbürgerschaftsrecht Österreichs ist im europäischen Vergleich eines der restriktivsten, was eine Studie der Arbeiterkammer Wien aus dem Jahr 2013 belegt, wo unter anderem folgende Voraussetzungen zusammengefasst wurden: