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Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner
Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner
20.06.2025

Diversität auf, hinter und rund um Bühnen leben

Das künftige neue Leitungs-Duo des Theaters der Jugend im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…

Zeiten ändern sich, die Stadtgesellschaft hat sich geändert, damit haben das auch die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen getan. Deshalb brauchen sie auch andere, neue Geschichten. Mit diesen Ausgangsüberlegungen will die neue Leitung des Theaters der Jugend ab der übernächsten Saison den Spielplan für das junge Publikum gestalten. Das erzählen neben Aslı Kışlal, über die Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… schon hier berichtet hat, auch ihre künftige Stellvertreterin Bérénice Hebenstreit im Interview einige Stunden nach der Bekanntgabe in einer Presskonferenz mit Vizekanzler und u.a. Kulturminister Andreas Babler und Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler.

Sie war es, die die neue Direktorin „ermutigt und unterstützt hat, mich zu bewerben, und mit der ich nun als Team die Leitung übernehmen werde“, wie Aslı Kışlal bei der besagten Medienkonferenz sagte.

Weiterführen und weiter-entwickeln

Damit wollen die beiden aber alles andere als alles über Bord werfen. „Das Theater der Jugend ist eine traditionsreiche Institution. Wir möchten ihre Qualitäten und Stärken bewahren und gleichzeitig ihr Potential weiterentwickeln und neue Impulse setzen“, wiederholt die ab übernächste Saison neue Direktorin einen Satz aus dem Statement bei der medialen Vorstellung.
„Aber wir wollen einiges ergänzen und ändern“, so die beiden.

Auf die Nachfrage was, meinen Hebenstreit und Kışlal einerseits eine kooperativere Haltung anderen Einrichtungen der Stadt, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten – von der freien Szene bis hin zu Jugendzentren und andererseits, dass sich mehr Kinder und Jugendliche dieser multikulturellen, pluralistischen, vielfältigen Stadt auch auf der Bühne und in Stücken widergespiegelt erleben können.

Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner
Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner

Fantasie, Empathie, Humor

Das große Haus, Renaissancetheater, dessen Name Kışlal durchaus in Frage stellt, „das ist aber sicher nicht vorrangig“ soll wie bisher vor allem für Kinder da sein. „Für die Jüngsten ab sechs Jahre gibt es aber zu wenig gute Stücke, wobei da deutsche Stadt- und Staatstheater einiges haben. Da sollten wir mehr zusammenarbeiten, uns austauschen, auch Stücke in Auftrage geben. Fantasie anregen, Empathie verbreiten und das alles mit Humor, da sollten wir junge Autorinnen und Autoren heranziehen, die Stücke für diese große Bühne schreiben können. Diese sollten die hiesigen Lebensrealitäten beinhalten. Wir wollen über Diversität nicht reden, sondern sie leben“, postuliert Aslı Kışlal, die das in ihrer bisherigen jahrzehntelangen Arbeit nicht nur, aber vor allem in Wien, auch praktiziert hat. „Das wofür ich jahrzehntelang gearbeitet und gekämpft habe, können wir nun in einem großen Haus umsetzen!“, freut sie sich – und wird beim Interview in einem großen Gastgarten in der Neubaugasse wenige Meter vom Renaissancetheater entfernt, immer wieder von Gäst:innen unterbrochen, um sie zu beglückwünschen.

Offen aufgenommen, gute Übergabe

Das designierte neue Leitungsduo will an Vielem dieser großen, traditionellen Kinderkultur-Einrichtung anknüpfen und betont, „dass wir hier mit offenen Armen aufgenommen worden sind. Obwohl wir erst ab der übernächsten Saison die Verantwortung haben, wurde uns gleich ein Büro eingerichtet, in dem wir arbeiten können.

Viele Mitarbeiter:innen waren auch bei der Pressekonferenz, treffen konnten wir sie vorher leider noch nicht, es sollte ja alles bis dahin geheim bleiben, nur mit dem Leitungsteam hatten wir direkten Kontakt. Aber damit die Mitarbeiter:innen nicht erst aus den Medien informiert werden, haben wir eine Videobotschaft aufgenommen, die alle bekommen haben. Anfang der kommenden Woche haben wir dann noch einen eigenen Termin mit allen.

Direktor Thomas Birkmeir und sein Stellvertreter, der Chefdramaturg Gerald Maria Bauer, haben uns herzlich und kollegial aufgenommen – so sollte s ja auch sein.“ Ist es leider in vielen Häusern nicht wirklich, da gibt es solche, deren Mitarbeiter:innen erst aus Medien von ihrer neuen künstlerischen Leitung erfahren oder wo Übergaben nicht wirklich stattfinden können…

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Vevi“ im Vorarlberger Landestheater; Inszenierung: Bérénice Hebenstreit

„Arbeit für Kinder hat mich extrem verändert“

Doch nun, da in einem vorigen Beitrag sowie schon öfter über ihre Arbeit auf dieser Seite Aslı Kışlal vorgekommen ist, eeendlich zu Bérénice Hebenstreit. „Seit 2017 arbeite ich als Regisseurin, hauptsächlich im Erwachsenentheater, aber schon auch für Kinder. Das erste Mal als ich für Kinder inszeniert habe, hat mich selber stark verändert. 2019 wurde ich vonm Landestheater Vorarlberg in Bregenz gefragt, ob ich „Vevi“ nach dem Roman von Erica Lillegg inszenieren möchte. Das ist eine österreichische Kinderbuchautorin (1907 – 1988), die erst wieder entdeckt werden muss. Ich würde ihre Vevi die österreichische Pippi Langstrumpf nennen. Anfangs hatte ich Zweifel, ich hab ja noch nie für Kinder ein Stück gemacht.“

KiJuKU will wissen, inwiefern diese Arbeit die Regisseurin verändert hat, noch dazu stark. „Ich hab mir davor dann Vieles angeschaut in verschiedenen Theatern und unter anderem beim Schäxpir-Festival und war extrem beeindruckt vom Niveau und wie ernst das junge Publikum genommen wird. Aber auch davon, dass da vieles für den Dialog mit dem Publikum inszeniert wird, das viel stärker und unmittelbarer reagiert. Diese Arbeit für das große Haus mit 500 bis 600 Kindern hat mich dann eben sehr verändert.“

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Der Nebel von Dybern“ von Maria Lazar; Regie: Bérénice Hebenstreit

Wiederentdeckungen

Hebenstreit erzählt, dass sie so wie sie Erica Lillegg wieder ausgegraben hat – übrigens hat das Kinder- und Jugendtheater Next Liberty in Graz, wo sie selbst die Kunstschule Ortwein besuchte, Vevi in einer eigenen Inszenierung auf die Bühne gebracht – auch Maia Lazar wieder entdeckte und „Die Nebel von Dybern“ für das Theater Nestroyhof / Hamakom inszenierte.

Für ihre Regie von Urfaust/FaustIn and out (Goethe und Elfriede Jelinke) Im Volx Margarethen bekam sie einen Nestroy und war 2021 für den „zerbrochenen Krug“ von Heinrich Kleist“ für einen weiteren nominiert, „das war mein erster Klassiker“.

Im Herbst des Vorjahres inszenierte sie im Theater Erlangen (Deutschland) ihr zweites Kinderstück, Christine Nöstlingers viel zu wenig bekannten Roman „Hugo, das Kind in den besten Jahren“ und nennt den Roman „einen der anarchistischesten von Nöstlinger“.

So wie Aslı Kışlal „Mini-Horror“ von Barbi Marković so inszenierte Hebenstreit „Superheldinnen“ dieser österreichischen Erfolgsautorin.

„Wir kennen uns aber vor allem aus der aktivistischen Arbeit“, meinen die beidem im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… und da vor allem in Sachen „Aufbrechen patriarchaler Strukturen und generell von Machtgefällen leider auch in der Kulturbranche, die oft ja auch andere Ansprüche formuliert.“ So haben sie mit angestoßen, dass es Reports in Sachen Gender und Diversität für Theater geben sollte, „immerhin ist im September des Vorjahres der erste Bericht – für den gesamten Kulturbereich – erschienen“.

Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner
Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner

Aktivistisch für mehr Gerechtigkeit

Gemeinsam mit Angela Heide, Julia Franz Richter, Johanna Rosenleitner, Birgit Schachner und Barbara Wolfram gründeten und betreiben die beiden die Plattform „Kill the Trauerspiel“ – „Für eine lebendige und progressive Kulturarbeit braucht es dringend Geschlechtergerechtigkeit und Diversität auf und hinter den Bühnen… ist eine Initiative, die sich für dieses Ziel einsetzt, indem sie konkrete Schritte initiiert, Allianzen aufbaut und eine Plattform für Austausch bietet“, heißt es auf der entsprechenden Website einleitend – Link am Ende des Beitrages.

Jugendtheater – Jugendarbeit – Theater

„Und das wollen wir natürlich im Theater der Jugend dann auch umsetzen – gendergerechte Aufteilung in Besetzungen, Regie…“, bringt sich nun wieder Aslı Kışlal ins Gespräch ein. „Übrigens, für Jugendliche bezeichnen wir das Theater im Zentrum als verlängertes Wohnzimmer“.

Dort hatte Aslı Kışlal ihre ersten schauspielerischen Erfahrungen nach der Übersiedlung aus der Türkei nach Wien. „Ich hab in Christa Stippingers „wiener blut – keine operette“, einem modernen Romeo-und Julia-Stück gespielt. Da ging’s um Jugendbanden Anfang der 90er Jahre in Wien. Wir hatten Probenbesuche von Streetworkern mit Skinheads ebenso wie von türkischen Jugendbanden. Während ich noch auf meinen Auftritt gewartet habe stand eine Szene im Fokus, wo ein Skinhead einen türkischen Jungen mit dem Kopf in eine Klomuschel taucht, es ertönen Wassergeräusche. Im Publikum saßen zwei ältere Schauspieler:innen, die haben begonnen provokativ zu applaudieren, um die Reaktionen der Zuschauer:innen herauszufordern. Das wurde heftig, 20 bis 30 türkische Jugendliche wollten die beiden, die dann verschwanden, suchen und schlagen. Ich hab die beiden umarmt, geknuddelt und die Szene beruhigt, den Jugendlichen erklärt, dass das eben Schauspieler:innen sind. Das war der Moment, wo ich wusste, ich will Jugendarbeiterin werden.

Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner
Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner

Zuvor aber spielte sie noch in weiteren Jugendstücken, unter anderem „Trainspotting“ (Roman von Irvine Welsh, 1993). „Da gab es viele kritische Stellungnahmen. Der damalige Theater-der-Jugend-Direktor, Reinhard Urbach, hat gesagt: „Wenn die Kirche so laut schreit, dann haben wir was richtig gemacht!“

Aslı Kışlal ging dann in die Jugendarbeit, aber nie weg von Theater und Kultur. Im Verein echo konnten sich Jugendliche vor allem der zweiten Generation von Migrant:innen kulturell betätigen, mit dieser Crew inszenierte sie dann die gesellschaftspolitischen Satiren „Dirty Dishes“ und „Oma frisst“ – siehe den unten verlinkten Bericht…

Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner
Bérénice Hebenstreit und Aslı Kışlal im Gespräch mit KiJuKU, Heinz Wagner

Gegenseitige Kontrolle

„Eigentlich wollten wir uns ja als Team bewerben“, so Hebenstreit zu KiJuKU.at – unter den 40 Bewerbungen gab es auch sieben in Teams. „Doch dann wurde uns gesagt, es sei eine Hauptverantwortliche gewünscht“, fügt die künftige stellvertretende künstlerische Leiterin an. „Wir verstehen das auch als gegenseitige Kontrolle, nicht abzuheben“, so Aslı Kışlal (55) abschließend. „Außerdem vertreten wir auch zwei Generationen“, ergänzt Bérénice Hebenstreit (37)

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