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Szenenfoto aus "Du musst dich entscheiden" im Wiener Volkstheater
Szenenfoto aus "Du musst dich entscheiden" im Wiener Volkstheater
18.09.2023

TV-Showformat auf Theaterbühne als Kritik an Meinung statt Fakten

DMDE – „Du musst dich entscheiden!“ im Wiener Volkstheater setzt auf schrill-bunten Mix aus Fernseh-Show-Elementen mit Philosophie-Einsprengseln.

Coole Idee, spannendes Setting, mitreißende Stimmung vom erhöhten DJ- und VJ-Pult in einer Ecke der Bühne schon beim Betreten des Publikumsraums im Wiener Volkstheater; samt Versuch schon in der Phase des Einlasses den Graben zwischen Bühne und Publikum zu überwinden. Einladung zum Mit-Shaken in der Disco-ähnlichen Atmosphäre. Mitspielen das ist das Motto der jüngsten Produktion „Du musst dich entscheiden!“, immer wieder auch mit dem Kürzel DMDE – mit damit bewusst ausgelösten Assoziationen.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Du musst dich entscheiden“ im Wiener Volkstheater: Moderationsduo „Michelle Pelosi“ (Anke Zillich) und „Tommy McDonalds“ (Elias Eilinghoff)

Noch-Direktor Kay Voges hat sich eine Persiflage auf Samstag-Abend-TV-Shows ausgedacht, inszeniert und – mit Ensemble und einem externen Autor, Frederik Hartle (Philosoph und seit vier Jahren Rektor der Akademie der Bildenden Künste in Wien) ge-scriptet. Das Thema könnte auch nicht zeitgemäßer sein: Meinung zählt mehr als Fakten. Und dazu wird das Publikum gebeten, nein vielfach aufgefordert – entgegen sonstigen Gepflogenheiten („vergessen Sie nicht, nach der Vorstellung Ihre Handys wieder einzuschalten“) im Theater, die Smartphone zu zücken, online zu bleiben oder gehen, QR-Code (vom großen Screen auf der Mitte der Bühne oder vom Programmheft) zu scannen, um bei den folgenden gut ein Dutzend Abstimmungen zu voten.

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Szenenfoto aus „Du musst dich entscheiden“ im Wiener Volkstheater

Abstimmungen

Angeblich haben – bei der Premiere – viele mitgestimmt, wiewohl so manches Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… vermuten ließ, dass die Abstimmungen eher Fake waren und die Ergebnisse schon vorher feststanden. Auf Nachfrage im Volkstheater kam Sonntagmittag die Antwort: „beruht tatsächlich auf Abstimmverhalten des jeweiligen Publikums“.

Womit die Frage offen bleibt, ob das Premierenpublikum tatsächlich die eigene stets für die richtige Meinung hält, gedrückt hat, was die Show erwartete oder sich selbst auf die Schaufel genommen hat. Denn zu Beginn sollte erhoben werden: „Eine Meinung ist richtig, wenn…?“
Zur Auswahl standen: „… die Mehrheit sie für richtig hält“
„… Expert*innen sie für richtig halten“ oder
„… ich sie für richtig halte“.
Für die letztgenannte Auswahlmöglichkeit nannte die erhobene/erhabene Kanzel (DJ und VJ-Pult) fast zwei Drittel (62 %) als „Ergebnis“.

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Szenenfoto aus „Du musst dich entscheiden“ im Wiener Volkstheater

Diverse Kandidat:innen

Natürlich war auch die ganze Show mit den sieben, später acht Kandidat:innen vorgegeben. Die mussten während der Musik zwischen den Feldern rot, grün und blau hin und her hüpfen – „ob du richtig stehst, siehst du, wenn das Licht angeht“ ruft Erinnerungen an die Kinder-TV-Quizsendung „1, 2 oder 3“ hervor. Je nach Publikums„entscheid“ dürfen sich die Gewinner:innen der jeweiligen Runde Bälle – als sichtbare Punkte – in ihre Drahtsäule werfen.

Hier setzt das Stück auf tatsächlich einen breiten Querschnitt an (Arche-)Typen, auf so etwas wie Diversität, zwecks (Einschalt-)Quote: Von Machos bis zu feministischen und queeren Kämpfer:innen, von seit ewig Benachteiligten – sei es sozial oder ethnisch bis feinsinnigen bzw. doch in finanziell besser gestellten Familien Aufgewachsenen. Die einen agieren als Einzelkämpfer:innen, andere in Teams oder als Ehepaare. Und jede/r spielt die zugedachte Rolle doch recht überzeugend: Hasti Molavian aus dem Iran Geflüchtete Nilufar Schultze, wobei das Verbindende mit ihrem Ehemann Rico (Uwe Schmieder) nicht zu finden ist. Maik aus Graz, gespielt von Fabian Reichenbach und sein Freund Moritz (Hardy Emilian Jürgens) schweben zwischen Harmoniesucht und ein wenig Esoterik. Paula Carbonell Spörk schlüpft in die Rolle der wohl Kämpferischsten gegen Vorurteile, Diskriminierung, Ausgrenzung des Abends. Sorgt dann aber doch auch für so manch negative Überraschung und Korrumpierbarkeit. Kaoko Amano gibt die feinsinnige koreanische Musikerin Kyung-Hye Song, die stets um das Recht auf ihren richtigen Namen kämpfen muss, den Moderator Tommy McDonalds, ein Mix aus Thomas Gottschalk und Ronald Mc Donald (Elias Eilinghoff) fast konsequent falsch nennt. Last but not least „Der Ebenbauer Ferdinand“ (Günther Wiederschwinger)

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Szenenfoto aus „Du musst dich entscheiden“ im Wiener Volkstheater

Marx hüpft aus altem Film in die Show, aber…

Der schrill-bunte, deutlich zu lange und in so manchen Wiederholungs-Schleifen damit auch mühsame Abend, der zwischendurch zu Langatmig- und folglich Langweiligkeit neigt, spielt zwecks Abwechslung – und sich teils selbst persiflierend mit weiteren Elementen: Unter anderem Einblendungen von auf alt gemachten Schwarz-weiß-Stummfilmen als „Loge der Kritik“. Bettina Lieder spielt eine gespenstische Frau in Weiß, namens Morla (in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ eine uralte Riesen-Schildkröte in den Sümpfen der Traurigkeit). Sie kommentierte tief-philosophisch wirkend gemeinsam mit „Indiemarx“ als Karl-Marx-Verschnitt (Christoph Schüchner), der u.a. Zitate seines „Vorbildes“ abwandelt.

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Szenenfoto aus „Du musst dich entscheiden“ im Wiener Volkstheater

Aus dem Marx’schen Satz, wonach Philosophen bis zu seiner Zeit die Welt nur verschieden interpretiert hätte, es aber darauf ankäme, sie zu verändern, wird hier „Game-Shows haben die Welt bisher…“ Und deswegen macht sich dieser „Marx“ auf, springt aus dem Film via Loge im ersten Rang ins Geschehen und macht sich zum Mitspieler der Show. Allerdings ohne sie wirklich zu verändern, auch wenn er zunächst gekonnt im ausgeschütteten Bällebad hin und her tänzelt, bevor er reihenweise slapstick-artig ausrutscht und hinfällt. Naheliegend wäre beispielsweise gewesen, statt des Kampfes alle gegen alle um die als Preis winkenden zwei Millionen Euro vorzuschlagen, diese auf die acht Mitspieler:innen aufzuteilen – wären immerhin 500.000 für jede/jeden 😉

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Szenenfoto aus „Du musst dich entscheiden“ im Wiener Volkstheater

Zu viel, zu lange

Etliche weitere Elemente – aktionistische via Video übertragene „Außenwette“ sozusagen oder Anspielungen (Produzent „Harry Weinlein“ – Andreas Beck) Vielfältiges ins Spiel bringen (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Kostüm: Mona Ulrich, Komposition: Fiete Wachholtz, Finck von Finckenstein, Video Art: Max Hammel) samt Zitaten von Freidrich Schiller, Theodor Adorno und Anleihen bei der Literaturwissenschafterin Gayatri Spivak (geboren in Indien, lehrend an US-Unis) sorgen für einen üppigen Abend. Die schräge, witzig gedachte Auseinandersetzung damit, dass Meinungen zunehmend im öffentlichen Diskurs Fakten und Wissen in den Hintergrund drängen, hätte sich vielleicht doch eindampfen lassen können und so Langatmigkeit vermieden, die auch phasenweise dazu führte, dass aus der Persiflage von Samstag-Abend-TV-Shows fast selber eine – mit obligater Sendezeitüberziehung – wird.

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Du musst dich entscheiden! – DMDE

Gameshow
von Johan Frederik Hartle, Kay Voges & Ensemble
2 ¾ Stunden

Regie: Kay Voges

Moderatorin Michelle Pelosi: Anke Zillich
Moderator Tommy McDonalds: Elias Eilinghoff
Produzent Harry Weinlein: Andreas Beck
VJ Veal: Max Hammel
DJ Pig: Fiete Wachholtz

Kandidat:innen
Nilufar Schultze: Hasti Molavian
Rico Schultze, ihr Ehemann: Uwe Schmieder
Kyung-Hye Song: Kaoko Amano
Maik aus Graz: Fabian Reichenbach
Moritz, sein Freund: Hardy Emilian Jürgens
Ferdinand Ebenbauer: Günther Wiederschwinger
Layla: Paula Carbonell Spörk

Die Loge der Kritik
Morla: Bettina Lieder
Indiemarx: Christoph Schüchner

Weitere Rollen
Pekingoper-Sängerin/ Teufel/ Zeigefinger/ Snowball: Claudia Sabitzer
Pekingoper-Sängerin/ Sissi/ Teufel/ Zeigefinger/ Snowball: Anna Rieser
Franz/ Teufel/ Genosse/ Schiller: Andreas Beck
Kamerakind: Georg Vogler

Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch
Kostüm: Mona Ulrich
Komposition: Fiete Wachholtz, Finck von Finckenstein
Video Art: Max Hammel
Lightdesign: Voxi Bärenklau
Mitarbeit Text: Alexander Kerlin
Dramaturgie: Alexander Kerlin, Henning Nass

Wann & wo?

Nächste Termine
5., 15., 29. Oktober 2023
10. November 2023
20. Dezember 2023

Volkstheater: 1070, Arthur-Schnitzler-Platz 1
Telefon: 01 52 111 400
volkstheater -> du-musst-dich-entscheiden