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Szenenfoto aus "Keeping up with Penthesileas" im Wiener Kosmos Theater
Szenenfoto aus "Keeping up with Penthesileas" im Wiener Kosmos Theater
20.02.2024

Im Clinch mit Vermarktung von (Pseudo-)Feminismus

„Keeping up with Penthesileas“: Ein Mashup aus griechischem antiken Mythos und TV-Reality-Show als witzige, entfesselte Bühnen-Performance im Wiener Kosmos Theater.

Popcorn-Verteilung an die Zuschauer:innen. Ein großer Boxring mit weichem, flexiblem Boden. Publikum auf zwei Tribünenhälften. Kampf eher im Stile gescripteter Wrestling-Showkämpfe. Und das mit so manch tiefgründigem, ernsthaftem Inhalt. Das spielt sich derzeit im Wiener Kosmos Theater bei „Keeping up with the Penthesileas“ ab. Schon der Titel deutet – für Eingeweihte – an, dass hier ein Mash-Up geboten wird.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Keeping up with Penthesileas“ im Wiener Kosmos Theater

Thomas Köck & Mateja Meded mixten die klassische antike Geschichte über die Anführerin eines Frauen-Heeres mit den Kardashians. Der erste Teil des Titels dieses Stücks, vielmehr dieser turbulenten, mitreißenden, immer wieder umwerfenden Show bezieht sich auf diese berühmte Celebrity-Familie. Eineinhalb Jahrzehnte lief in den USA die Reality-Show „Keeping up with the Kardeshians“. So manch schräge Szene, über die der Rezensent als überdrehtes Auf-die-Schaufel-Nehmen lachte, wurde ihm von Auskenner:innen nachträglich als fast 1:1. nachgespielt erklärt – etwa das mehr als patscherte (sehr ungeschickte) Schneiden einer Gurke für den gemeinsamen kalorienärmsten Verzehr.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Keeping up with Penthesileas“ im Wiener Kosmos Theater

TV-Show

Moderiert von „Letterman“ (Martin Hemmer) im Bademantel, betreten die Kämpfer:innen den Ring=Bühne; wobei die Bühne sich immer wieder auch auf die Räume rund um den Ring erstreckt. Die Angehörigen des Kardashian-Clans haben neben ihren eigenen Vornamen noch solche aus der antiken Mythologie um Penthesilea und ihre Kriegerinnen, die in die Kämpfe zwischen Griechen und Trojanern eingriffen. Und spielen auf dem „Klavier“ des Feminismus – den (nicht nur) die Kardeshians irgendwie zum neoliberalen Geschäftsmodell mach(t)en. Der Kapitalismus vermarktet alles – vom A im Kreis als Anarchismus-Zeichen auf sauteuren Sneakers bis zu Che Guevaras berühmtes Porträt auf T-Shirts und wo auch immer.

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Szenenfoto aus „Keeping up with Penthesileas“ im Wiener Kosmos Theater

Und so wird die zweistündige fulminante Show (Regie: Anna Marboe) zu einer immer wieder witzigen Auseinandersetzung zwischen inhaltlichen Ansprüchen und Missbrauch durch Geschäftemacherei damit. Ein Pendeln zwischen Lachen und Im Hals stecken bleiben desselben. Anstöße zum Nachdenken ganz ohne Belehrung. Bei real gespielten körperlichen Kämpfen kam – zumindest bei der Premiere – Ausrasten wie bei wohl echten Ring- oder Boxkämpfen auf. Fast ein wenig zum Fürchten.

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Szenenfoto aus „Keeping up with Penthesileas“ im Wiener Kosmos Theater

Shitstorms

Pilar Borower, Nina Fog, Edwarda Gurrola, Hannah Joe Huberts, Isabella Knöll, Christoph Radakovits schlüpfen jeweils in Rollen von Penthesilea(s Kämpferinnen) sowie Mitglieder des Kardeshian-Clans. Samt Konkurrenz-Attacken untereinander, Aufgreifen so mancher Episoden, die auch zu mächtigen Shitstorms geführt haben – natürlich nur der Letzteren, nicht der antiken Amazonen 😉

Die Vermarktungs-Genies spielen nicht nur mit Feminismus, sondern auch mit Diversität, machen allerdings aus Black Lives Matter, der antirassistischen Protestbewegung, eher ein „Attractive Lives Matter“ samt auf cool inszeniertem Werbe-Shooting für ein koffein-haltiges Dosen-Getränk. Und sorgen sich in erster Linie „Was ist jetzt mit meiner Brand?“

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Szenenfoto aus „Keeping up with Penthesileas“ im Wiener Kosmos Theater

Werbung verkauft mehr

Kendall Asteria (gespielt von Christoph Radakovits) klagt an einer Stelle: „So stressig / einfach nur stressig / alle haben eine Meinung, niemand denkt an meine mental health und / an meine wirklich großen / wichtigen Fragen / die mich umtreiben“.

Und Kylie Meroe (Nina Fog) spricht die „Philosophie“ an: „Werbung verkauft doch viel mehr als das Produkt. Werbungen verkaufen Lebenskonzepte.“ Und noch weitergehend postuliert Kim Penthesilea (Edwarda Gurrola): „Wir haben die doch alle erfunden und jetzt wollen sie uns steinigen. Dabei wissen die doch gar nicht, wer sie sein wollen ohne uns!“
Kendall Asteria (Christoph Radakovits): „Wir Penthesileas Kardashians haben auf Bildern nie Falten, Haare, einen Mittagsessenbauch, Cellulite oder überhaupt Poren…“
„… weil wir gar keinen Körper besitzen, sondern eine Brand“ (Kris Otrera = Isabella Knöll).
„Diese Form der Makellosigkeit ist einfach im realen Leben nicht zu erreichen“ (Kourtney Antiope = Hannah Joe Huberts) – „Deshalb begehren uns ja auch alle!“ (Kendall Asteria).

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Szenenfoto aus „Keeping up with Penthesileas“ im Wiener Kosmos Theater

Rassismus

Der kapitalistischen Vermarktung des „neoliberalen Feminismus“ treten die Schauspieler:innen in noch einer ganz anderen Rolle – weiß gekleidet – als historische Suffragetten entgegen. Und werden gekontert, dass sich die wiederum nur für Weiße Frauen eingesetzt haben und ziemlich rassistisch agierten.

Alle gemeinsam als Chor merken gegen Ende dann den Grund-Gedankenanstoß an: „Das hier ist für die Mythen, die diese Welt einfach nicht erträgt, all die unerzählten Geschichten, all die fehlenden Seiten, all die durchgestrichenen Blankverse, all die Perspektiven die jetzt einfach aufstehen, ihre Gitterstäbe beiseite schieben und sich sagen fuck off, no more!“

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Keeping up with Penthesileas

from white feminism to neoliberal feminism
Eine quasimythologische Remythifizierung

von Thomas Köck & Mateja Meded
2 Stunden (keine Pause)

Regie: Anna Marboe

Prothoe Khloé Alexandra Kardashian / Khloé Prothoe: Pilar Borower
Meroe Kylie Kristen Jenner / Kylie Meroe: Nina Fog
The Daughter Products aka Amazonen / Penthesilea Kimberly Noelle Kardashian west / Kim Penthesilea: Edwarda Gurrola
The Talkshow host aka Goddess / Goddess Wendy Williams / Letterman: Martin Hemmer
Antiope Kourtney Mary Kardashian Barker / Kourtney Antiope: Hannah Joe Huberts
The Momager aka Oberpriesterin / Otrera Kristen Mary Jenner / Kris Otrera: Isabella Knöll
Asteria Kendall Nicole Jenner / Kendall Asteria: Christoph Radakovits

Historischer white middle class Zwischenruf: The Suffragettes: Ensemble

Ausstattung: Mirjam Stängl
Regieassistenz: Mana Malena Samadzadeh
Mitarbeit Ausstattung: Lauren Müller

Aufführungsrechte: Suhrkamp Verlag AG Berlin

Wann & wo?

Bis 2. März 2024
Kosmos Theater: 1070, Siebenstern 41
Telefon: 01 523 12 26
kosmostheater -> keeping-up-with-the-penthesileas/