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Szenenfoto aus "Moby Dick" im Theater im Zentrum: Jonas Graber als Ismael
Szenenfoto aus "Moby Dick" im Theater im Zentrum: Jonas Graber als Ismael
03.05.2023

Blindwütige Rache führt in den (nicht nur) eigenen Untergang

„Moby Dick“ mit Live-Musikerin im kleineren Haus des Wiener Theaters der Jugend – bis Mitte Juni 2023.

Düster, finster, eine Art schwimmendes Gefängnis – das ist das Walfangschiff aus dem Roman „Moby Dick“, geschrieben von Herman Melville vor mehr als 130 Jahren. Damals – und bis vor ein paar Jahrzehnten – war Walfang einerseits üblich und andererseits nicht nur wegen des Fleisches für vieles gut – unter anderem wurde das Fett für Öllampen verwendet, bevor es elektrisches Licht gab. Zu Melvilles Zeiten war Walfang noch lange nicht derart industrialisiert, dass schwimmende Fabriken die Bestände der intelligenten Meeres-Säuger fast in ihrer gesamten Existenz bedrohten.

In dem Roman, der nun in einer sehr verdichteten und vom Personal stark reduzierten und damit von Läääängen befreiten spannenden Version im kleineren Haus des Theaters der Jugend in Wien, im Theater im Zentrum, zu erleben ist, schwingt natürlich längst mit, dass Wale und die Jagd auf sie, heute eine ganz andere Bedeutung haben. Seit einigen Jahrzehnten geht es um den Schutz dieser Tiere, die vor allem viele Kinder und Jugendliche lieben, wenngleich nicht unbedingt einen Pottwal, um den es sich bei dem weißen Exemplar namens Moby Dick handelt.

Szenenfoto aus
Szenenfoto aus „Moby Dick“ im Theater im Zentrum: Uwe Achilles (Stubb), Frank Engelhardt (Starbuck), Mathias Kopetzki (Ahab), Wolfgang Seidenberger (Quiqueg) und Jonas Graber (Simael)

Nennt mich Ismael

Melvilles umfangreiche Geschichte mit vielen Nebensträngen und allgemeinen Betrachtungen über dies und das – immerhin im Original um die 1000 Seiten – dreht sich auch weniger um den Wal selbst, als um A) den Kampf von Mensch gegen Natur und B) das noch viel mehr, die Besessenheit des diktatorischen Kapitäns Ahab, genau diesen Wal zu fangen und zu töten. Der hat ihm – so seine Erzählung – ein Bein abgebissen. Soweit die Ausgangssituation.

Entsprechend dem – nicht in allen (übersetzten) Versionen bekannten Satz „Call me Ishmael.“/ Nenn(t) mich Ismael, lässt Regisseur Michael Schachermaier das Stück aus der Sicht des neu angeheuerten Matrosen erzählen, den Jonas Graber spielt und auch als den schüchternen Newcomer anlegt.

Szenenfoto aus
Live-Musikerin Mary Broadcast

Wortkarg

In einem Art Vorspiel bevor’s aufs Schiff geht, das aber schon von Anfang an auf der rohen Bühne mit Strickleitern und milchig/verschmutzten Folien auszumachen ist (Ausstattung: Regina Rösing) landet Ismael, der Schiffsjunge werden will in einer Art Hafenspelunke, dem „Gasthaus zum Walfisch“, wo er auch – nach anfänglicher Ablehnung – doch übernachten kann und auf den späteren Kollegen an Bord, Quiqueg (Wolfgang Seidenberger) trifft. Vor dem er sich maßlos fürchtet, spricht der doch praktisch kein Wort – außer jenem, das zu seinem Namen geworden ist. Was er zu erzählen hat, ist bildlich als Tattoos auf seinem Körper zu lesen. Und trotz seiner extremen Wortkargheit lässt er durchblicken, dass er vielleicht mehr sprechen könnte, wenn er wollte. Und er strahlt den Willen zur Freundschaft aus, was Ismael bald erkennt.

Szenenfoto aus
Frank Engelhardt als Starbuck

Starbuck vs. Ahab

Wirt und Gäste, sowie Reeder (Eigentümer von Schiffen) werden von späteren Matrosen bzw. dem Kapitän gespielt – wo sie unterschiedliche Rollen einnehmen: Lukas David Schmidt als teils fast artistischer Matrose Flask, Uwe Achilles als zweiter Steuermann sowie Frank Engelhardt als Starbuck. Dieser ist erster Steuermann und der verantwortungsvolle Leader. Als solcher kommt er immer wieder in Widerspruch zu Kapitän Ahab (Mathias Kopetzki). Das tun auch die anderen Matrosen, doch Starbuck traut sich auch Konter zu geben, vor Gefahren zu warnen. Oder zur Sprache zu bringen, was die Mannschaft ärgert: So viele Wale lassen sie ungejagt vorbeischwimmen, nur um Ahabs Rachelust zu verfolgen. Mit der Angst vor der Gefahr, dabei selber draufzugehen.

Szenenfoto aus
Uwe Achilles (Stubb), Lukas David Schmidt (Flask), Mathias Kopetzki (Ahab), Frank Engelhardt (Starbuck)

Toxische Rachsucht

Dieses – heute würde es wohl als toxisch bezeichnet – männlich-herrschaftliche: „Ich will genau diesen Wal und ihn töten!“ hat schon Melville aufs Korn genommen, umso mehr ist es heute ein überholtes, fast anachronistisches, wenngleich noch immer anzutreffendes Verhaltensmuster. Samt den Folgen nicht nur für den Besessenen, sondern die ganze Crew am (Raum-)Schiff (Erde) – denn als Metapher für das Zugrunderichten der Menschheit durch Vernichtung der Natur kann „Moby Dick“ wohl auch gelesen werden. Wobei der Autor wohl nicht zufällig das Schiff, auf dem sich alles abspielt, „Pequod“ genannt hat – nach einem indigenen Volk auf dem nordamerikanischen Kontinent (heutiger US-Bundesstaat Conecticut), das von den englischen Eroberern weitgehend getötet wurde.

Szenenfoto aus
Jonas Graber als Ismael

Musikalische Gegenwelt

Als Gegenstück zu diesem patriarchalen Herrscher – und irgendwie auch Unterstützung für den zart besaiteten Ismael – tritt immer wieder als Live-Musikerin, anfangs mit Ukulele, später mit E-Gitarre Mary Broadcast (Mary Lamaro), Bandleaderin der gleichnamigen Pop-Rock-Formation, auf – manchmal am Rand des Geschehens, dann wieder fast als Geist, die durch die Szenerie wandelt, in anderen Momenten mittendrin. Als Gegenwelt, als Hoffnungsschimmer. Und das entspricht dem für diese Saison ausgegebenen Motto des Theaters der Jugend: „Don’t give up!“ Wenngleich der Sieg des Wals auch den Untergang sozusagen von Mann und Maus bedeutet, auch jener, die nicht auf Ahabs Seite stehen. Nur Ismael kann sich retten – sonst hätte ja auch niemand die Geschichte erzählen können 😉

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INFOS: WAS? WER? WANN? WO?

Moby Dick

nach Herman Melville
von Michael Schachermaier
Ab 11 Jahren; 2 Stunden (eine Pause)

Ismael: Jonas Graber
Ahab / Mr. Peleg, ein Reeder: Mathias Kopetzki
Quiqueg: Wolfgang Seidenberg
Starbuck / Mr. Bildad, ein Reeder: Frank Engelhardt
Stubb / Wirt im Gasthaus zum Walfisch: Uwe Achilles
Flask / Elias der Prophet: Lukas David Schmidt
Live-Musikerin: Mary Broadcast

Regie: Michael Schachermaier
Ausstattung: Regina Rösing
Licht: Lukas Kaltenbäck
Musik: Mary Broadcast
Dramaturgie: Sebastian von Lagiewski
Assistenz und Inspizienz: Eva Maria Gsöllpointner
Hospitanz: Denise Sanna

Aufführungsrechte: Theater der Jugend, Wien

Wann & wo?

Bis 16. Juni 2023
Theater im Zentrum: 1010, Liliengasse 3
Telefon: 01 521 10-0
tdj -> Moby Dick