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Foto von der Performance der Sandy-Wetcliff-Crew
Foto von der Performance der Sandy-Wetcliff-Crew
13.03.2022

Tanz, Akrobatik, Schlagkraft und Humor gegen Ängste, Klischees und für gleichberechtigte Teilhabe

Performance Parcours im Rahmen des Skin #3-Festivals in und rund um den Dschungel Wien unter dem Motto „Lasst uns Hoffnung, Widerstand und Lachen zeigen!“

Wo anfangen? Chronologisch im Ablauf der 13 künstlerischen Auftritte? Nein, doch nicht. Aber alle werden hier in diesem Bericht vorkommen – manche mit mehr Text, andere mit vielen Fotos, Videos. Die Reihenfolge stellt keinesfalls eine Wertung dar. Die Palette der Auftritte reichte von Tanz über Akrobatik – manche mit vielen, andere ganz ohne Worte. Die einen selbst erklärend, die anderen hätten vielleicht das eine oder andere Wort – direkt ausgesprochen auf der Bühne oder wenigstens im Programmzettel gebraucht.

Etwa in der vielleicht beeindruckendsten Performance der Sandy Wetcliff Crew. Die sprach neben dem geplanten Schwerpunkt Feministischer widerstand und Humor in diesem dritten Teil des „unter die Haut“ gehenden Festivals in und rund um das Theaterhaus für junges Publikum im MuseumsQuartier auch indirekt die leider aktuell gewordene Weltlage mit dem nahe gerückten Krieg in der Ukraine an.

Brocken der Furcht und Angst

Sechs Performer:innen, gekleidet in der Art antiker Priester: innen, holen fast in Zeitlupe eine grob geformte Gipskugel nach der anderen aus dem Ausstellungsbereich auf die Bühne. Dort haben sie schon zuvor drei große Schüsseln/Töpfe – aus dem selben Material – platziert – und dazu fünf große Hämmer mit bunten bemalten Stielen. Klar, irgendwas wird zu Bruch gehen. Mit den Kugeln legen die sechs – namenlos bleibenden – Aktionist:innen Buchstaben. Leider viel zu nahe an der ersten Reihe, sodass das Publikum dahinter nicht lesen kann, dass hier FEAR (Furcht/Angst) geschrieben steht – der Mundfunk lässt bei manchen mit dem akustisch gleich lautenden „VIER“ auch eher Ratlosigkeit zurück.

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Wie auch immer, nach und nach wird das Wort zerlegt, die Angst sozusagen zersetzt. Die Performer:innen tragen die Kugeln zu den Schüsseln, legen sie in diese, zwei der sechs Künstler:innen rühren Gips mit Wasser und Farbe an, übergießen die Kugelberge in den Töpfen. Bevor fünf von ihnen sich die langstieligen Hämmer greifen und ihre Kreise ziehen. Geduld. So schnell geht’s nicht. Stark entblößt, rücken sie kraft- und lustvoll den gefüllten Schüsseln nun mit dem Schlagwerkzeug „zu Leibe“, zertrümmern die prall mit den Buchstaben der Furch gefüllten Gefäße. Befreiend zerbersten diese und legen die eine oder andere bunte Vogelfeder und Glitzerteile frei.

Haut und Haar

Ein Foto mit aufgeklebten Haaren von arielanil hängt in der Ausstellung vor Bühne 3. Das – und die dahinter liegende Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen, die Frauen oft aufgezwungen werden – wenig Körperbehaarung – und obendrein für sie, deren Wurzeln in Indien liegen, helle Haut – sind die Elemente ihrer Performance. Dabei schlüpft sie u.a. in die Rolle einer Tante in Kerala mit deren entsprechenden „Maßregelungen“, um sich nach und nach dazu durchzukämpfen, zu ihrer Haut und ihren Haaren zu stehen und diese auch ziemlich entblößt zu zeigen.

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Rollentausch

Ebenfalls sozusagen aus der Ausstellung heraus performte Xénia N. C. „Verwandlung #2“, wo zwei große Porträtfotos der Künstlerin hängen – eines auf typisch weiblich, eines auf männlich gestylt. Angeregt von Franz Kafkas „Die Verwandlung“ lässt sie einen Protagonisten, den sie James nennt, verzaubert aufwachen. Nicht wie beim Dichter im Körper eines Käfers, sondern einer Frau. Was ihn doch recht irritiert. Und noch mehr die Mitmenschen in ablehnendes Erstaunen versetzt, weil Xénia N. C. in ihrem Bühnenauftritt als verwandelte Frau die angelernten männlichen Gewohnheiten beibehalten lässt – etwa breitbeiniges Sitzen in der Straßenbahn.

Stereotype lassen sich oft recht humorvoll entlarven, wenn einfach die Rollen vertauscht werden – das war schon ein Hit, als Irmtraud Morgner Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts in der DDR ihre Kurgeschichte „Kaffee verkehrt“ veröffentlicht hat.

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Dann lieber gar nicht geboren werden

Auf ganz andere Art nahm die Clownin Veronika Vitovec noch immer herr-schende und neu hinzugekommene Rollenzuschreibungen für Frauen aufs Korn. Sie schlüpft in die Rolle eines Mädchen-Embryos an der Nabelschnur. Sie tritt schon an die „Wände“ des Mutterbauchs. Als sie aber hört, was diese für ihr künftiges Leben außerhalb der Gebärmutter vorsieht und vorausplant – schon viele Möglichkeiten der Entwicklung, aber doch keine Gleichberechtigung mit Männern – will sie eigentlich so gar nicht wirklich auf die Welt kommen.

Schäm dich – nicht

Den (fiktiven) Brief der Mutter, wie die Tochter sich anständig kleiden, verhalten und was noch alles mehr solle, liest Kasija Vrbanac Strelkin vor. Für dies, das, jenes und nicht zuletzt die schweren, klobigen, schwarzen Schuhe sollte sie sich schämen. Bevor sich die Tänzerin von der schriftlichen „Anordnung“ befreit und ihrer körperlichen Beweglichkeit – zu Musik von Goran Ilić und Flirty House – freie Bahn lässt. Und doch immer wieder auch innehält, weil sie Schamgefühl verspürt, das sie nicht so einfach ablegen kann.

Frauen in Afghanistan

Unter viel heftigeren, rigideren Vorschriften allerdings müssen Frauen in Afghanistan leiden. Das zeigen Shahrzad Nazarpour und Morteza Mohammadi in ihrer Performance im Foyer des Dschungel Wien sehr bewegt – mit einem Kleid – nein Burka ist kein genuin afghanisches Kleidungsstück für Frauen! Sondern eines, das die Taliban den Frauen aufzwingen ebenso wie sie Mädchen den Schulbesuch verbieten.
Dazu auf den Boden und die Wände projizierte Fotos sowie eine TV-Reportage-Beitrag – u.a. mit dem Hinweis, dass Frauen 1919 zum ersten Mal im Land am Hindukusch wählen durften, in den USA erst 1920 (in Österreich 1918, in der Schweiz 1971, im Kanton Innerrhoden erst 1991).

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Furzen & Fettverteilung

Humorvoller ging’s da in der Kolumne „Leib & Leben“ zu, die Julischka Stengele im kleinen Klosterhof rezitierte. Sie hatte sie für die feministische Zeitschrift An.Schläge (Nr. 1/2022) verfasst und ihre Lust am Furzen beschrieben.

Diese Künstlerin trat übrigens mehrfach so „zwischendurch“ auf und verteilte köstliche Brownies unter dem Motto „Fettverteilung“.

Laut und kräftig

Lautstark und kraftvoll hatten Teilnehmerinnen eines Workshops unter dem Titel „Pink Noise“ elektronische Sounds erzeugt. Ihre erarbeiteten Sound-Mixes aus E-Bassgitarre, elektronischem Schlagzeug, Synthesizern, Loopstation und in Mikros gesungene und gesprochene Texte präsentierten sie zum Auftakt des vierstündigen Performance-Parcours auf Bühne 2 des Dschungel Wien.

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Rap von
Rap von „Love2laugh“

Rap-artig dafür im kleinsten MQ-Hof der Auftritt „Love2laugh“, wo ein verbliebenes Duo, darunter die Checkerin des Parcours, Berenice Pahl, eine „Ouvertüre“ zu „Riot im Oikos“ über 3000 Jahre weiblichen Aufbegehrens gegen überkommene Rollenzuschreibungen performte.

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Akrobatisch tänzerisch

Unterschiedlich und dennoch verbindend die beiden Auftritte von Luiza Furtado und Florinda Fürst. Erstere befreit sich in ihrem Tanz „Coluna“ (Wirbelsäule) nicht nur von einem Marionetten-Kreuz, das sie über ihrem Kopf trägt, sondern auch von einer Art Exo-Skelett-Wirbelsäule – die sie, wie sich selbst, ganz schön heftig auf der Bühne herumwirbelt.

Fürst wiederum verwendet als symbolische Einengung einen großen Metallreifen, den sie akrobatisch meisterinnenhaft be-frau-t und sich dennoch immer wieder von diesem völlig frei macht.

Last but not least: Verbindungen

Nur chronologisch, aber damit keineswegs geringschätzend sei noch die Performance von Sara* Hawy, Mirjana Mustra und Kristina Cyan genannt. Wobei die drei Künstler:innen „nur“ initiierend im Fürstenhof zwischen Dschungel Wien, Zoom Kindermuseum und wienXtra kinderinfo wirkten. Viele Schnüre und bunte Straßenkreiden luden – nicht nur die Teilnehmer:innen am Performance-parcours – ein, selbst mitzuwirken, ihnen wichtiges auf den Boden zu schreiben oder malen, sich mit Hilfe der Schnüre zu vernetzen… Was nicht zuletzt im Hof spielende Kinder animierte, mitzumachen.

Kundgebung gegen den Krieg in der Ukraine am Platz der Menschenrechte vor dem Wiener MQ
Humor auch vor dem MQ bei einer der Kundgebungen gegen den Krieg in der Ukraine …

Vielleicht wäre auch eine Verbindung aus dem Hof hinaus zum Platz der Menschenrechte ganz gut gewesen. Dort fand – sie seit zwei Wochen – wieder eine Kundgebung gegen den kriegerischen Überfall auf die Ukraine statt. Auch dort spielte im Ernst der Lage Humor im Protest eine Rolle, hatten mehrere Demonstrant:innen doch Tafeln mit einem Namens-Wortspiel mitgebracht. „put.in“ (reingeben) und dazu einen offensichtlichen Mistkübel (der Geschichte).

Follow@kiJuKUheinz

Das Skin #3-Festival läuft noch bis Sonntagabend: skin-festival -> laughing-fighting