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Großgruppenfoto aller anwesenden Preisträger:innen, Juror:innen, Preisübergeber:innen, Team der edition exil

Literarische Reisen in nahe und für viele doch neue Welten

„Die Beerdigung darf nur am Dienstag, Donnerstag, Samstag oder Sonntag stattfinden. Die Leiche muss sichtbar sein. Der Sarg soll in der Mitte des größten Raumes des Hauses stehen… Alle Spiegel im Haus müssen mit einem weißen Tuch bedeckt werden. Der Tod soll sich nicht spiegeln, sonst besucht er das Haus bald wieder… In Georgien kommen die Menschen ins Haus der Verstorbenen, um den Angehörigen ihr Beileid auszudrücken, doch vor allem beobachten sie, wie die Familie lebt, wer weint und wie geweint wird…“

Eingebettet in die ausführliche Schilderung, welche Bräuche sich rund um den Tod und Neujahr, in ihrer ersten Heimat abspielen, weil sie in ihrem Text beides zeitlich zusammenfallen lässt, gibt Lali Gamrekelashvili aber auch Einblicke in die georgische Sprache. Sie flicht nicht nur zwanglos einige Wörter – samt der Schrift – ein, sondern baut auch Erklärungen über die Struktur der Sprache ein und vergleicht sie mit Deutsch, der Sprache, in der sie schreibt. Die wenigen Vokale im Georgischen – nur fünf, aber keine Umlaute und Diphtonge (also so etwas wie ei, eu, au…) „sind besonders dehnbar“. Und es gibt keine vielfach zusammengesetzten Wörter. „In der deutschen Sprache gibt es reichlich davon, das längste Wort, laut Duden, mit dem ich meine Zunge brach, habe ich auswendig gelernt: Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung.“

Mit „Ein anderes Neujahr“ hat sie den diesjährigen Hauptpreis der edition exil gewonnen. „Der Autorin gelingt es, dieses intime und stimmungsvolle Bild ganz unaufdringlich mit einer Reflexion über ihre doppelte Identität zu verbinden, … subtil thematisiert sie dadurch Zweisprachigkeit, Fremdheit und Vertrautheit und nimmt vielleicht nicht nur von ihrem Vater Abschied, sondern auch von ihrer Herkunft“, begründete die Jury – Jessica Beer, (Residenz Verlag), Paula Pfoser (ORF) und der Autor Thomas Perle – die Vergabe des ersten Platzes – dotiert mit 3000 € an Gamrekelashvili.

Dinosaurier-Biss

Platz zwei – 2000 € – vergab die Jury an Nastasja Penzar. Auch sie nimmt die Leser:innen in ihrem Text – „der erste Sommer“ – mit auf eine berührende Reise mit in ihre erste Heimat, viel eher eigentlich die ihrer Eltern. Denn sie selbst wurde da vom Vater aus dem Kindergarten im deutschen Frankfurt abgeholt – mit der Ankündigung einer großen, geheimnisvollen Überraschung. Die sich dann für sie – und noch mehr für ihre schon älteren Schwestern als naja… – schon der erste Absatz dieser Reise zu den Großeltern in Kroatien umreißt das Gegenteil:

„Der erste Sommer, den wir hier unten verbrachten, war der erste, in dem der Krieg gerade einmal so lange pausierte, dass die Eltern sich eine Ferienlänge ohne Bombardement erhofften. „Ein bisschen verrückt war das schon“, würde meine sonst sicherheitsbewusste Mutter später sagen und dabei den Finger über der Schläfe drehen. Es war der Sommer der Sandsäcke.“

Für die Kinder eine Ankunft in einer eher fremden, verstörenden Atmosphäre – und doch eingebaut mit kindlicher, fantasievoller Perspektive: „Schau dir das an, komm.“ Er schob mich den Gartenweg entlang, bis zur Seite des Hauses und zeigte nach oben. Über all den Sommersprossen klaffte eine Bisswunde, so sah es aus. Die oberste Ecke des Hauses war weg.
„Abgebissen“, nickte ich, „wahrscheinlich ein Dino-saurier.“ Ich sah meinen Vater ernst an.
„Ja, denkst du?“ Er lächelte, hob seine Augenbrauen, „Vielleicht.“ Dann klopfte er mir leicht auf den Kopf und ging zu seinen Eltern zurück.
Später gaben die Erwachsenen dem Dino den Namen Granata.“

Die Welt einer Immer-schon-Lehrerin

Seit vielen Jahren vergibt die edition auch einen Preis für Autor:innen mit deutscher Erstsprache. Der Untertitel „Schreiben zwischen den Kulturen“ will gerade mit diesem Zeichen die Literatur, die die Preise und der Verlag fördern, zusätzlich aus der „Migrations“-Ecke holen. Die Bereicherung von Texten durch unterschiedliche Sichtweisen, auch Sprachkulturen, steht im Zentrum. Und – wie schon in anderen Beiträgen zu diesem Preis mehrfach erwähnt, sind aus dieser Initiative schon lange auch große Namen der österreichischen Literatur erwachsen, Stichwort Julya Rabinowich, Dimitré Dinev; der zuletzt Genannte hat erst in diesem Jahr den Österreichischen Buchpreis mit „Zeit der Mutigen“ gewonnen.

So, zurück zu Deutsch als Erstsprache. Diesen Preis bekam 2025 Felicia Schätzer für ihren Text mit dem Titel „Was, wenn ich am Ende genauso bin, wie ich immer schon war?“

„Seit wir in der Sandkiste waren, haben alle zu mir gesagt, ich würde mal Lehrerin werden“, lautet ihr erster Satz. Lebhaft und gut vorstellbar schildert sie ihr Agieren als ganz junges Kind, aber auch später als Schülerin und die Verwirklichung der schon frühen Beobachtungen der meisten Außenstehenden. Sie wurde Lehrerin. Dabei nimmt sie die Leser:innen aber in eine dann doch recht fremde Welt mit – ihre Verzweiflung als Werklehrerin in einer Volksschule, ihre Überforderung… aus der eher der Hang zum Aufgeben deutlich aus dem Text springt.

Was wird, wenn…

Bis sie ihre eigene Reflexion schildert und einen berührenden Moment: „Während mich Nala am letzten Schultag also weinend umarmt und mir die lila Blume in die Hand drückt, die sie extra für mich ausgesucht hat, denke ich mir, was nur aus den Kindern wird, die von allen anderen Lehrerinnen liegen gelassen werden, weil sie einfach keinen Bock auf Schreiben haben, und zu denen immer jeder sagt: Du kannst das nicht und du kannst das nicht, du machst das falsch und das und das, zu denen nie wer sagt: Du wirst bestimmt mal Lehrerin. Jetzt, in genau diesem Moment, werden diese Kinder wie Nala also genau von diesen Lehrerinnen wie mir links liegen gelassen. Weil sich diese Lehrerinnen lieber mit sich selbst beschäftigen. Weil unterrichten zu anstrengend ist. Weil sie die eigenen Energien aufsparen, um noch andere Jobs auszuprobieren, angespornt von der brennenden Frage, wer zum Teufel man eigentlich ist oder noch aller sein könnte. Eine Frage zufällig vererbter Privilegien. Das alles ist irgendwie so unfair, dass ich gleich wieder anfange zu schlucken, obwohl es ja ich bin, die es in der Hand hätte. Was wird aus den Kindern, die niemand dabei begleiten kann, herauszufinden, dass es Dinge gibt, die sie gut können, und nicht nur Dinge, die sie schlecht können.“

Weitere (Sprach-)Kulturen: Musik

Die Preisverleihungen, die nun seit einigen Jahren im Literaturhaus stattfinden, wo mehr Zeit und Raum ist als in früheren Jahren Samstagabend bei der Buch Wien mit höchstens einer Stunde im Rundum-Trubel werden jeweils auch musikalisch begleitet, seit Jahren von dem Duo Miloš Todorovski (Akkordeon) und Andrej Prozorov (Tenorsaxofon), ein Duo, das mit seinen Beiträgen in unterschiedlichen Stimmungen noch einmal weitere Sprachen und Kulturen in die Veranstaltung einbringt.

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Beiträge aus früheren Jahren

Acht der elf Teilnehmer:innen des Jugend-Gruppenprojekts vom Jugendcollege mit ihrer Lehrerin sowie der Vertreterin des u.a. Kulturministeriums

Selber schon 100 Seiten auf arabisch geschrieben

„Es war unmöglich, einen Fuß auf den Boden zu setzen, ohne auf zerknüllte Plastikverpackungen oder benutzte Zahnbürsten zu treten. Den Boden selbst konnte man gar nicht sehen. Und auch die kleinen Hütten, in denen sie alle lebten, bestanden aus Abfall. …
Die Ältesten unter ihnen – jene, die noch ein anderes Zeitalter miterlebt hatten – behaupteten, dass die Welt einst eine andere gewesen sei. Damals habe es verschiedene Jahreszeiten gegeben statt eines Lebens in einem endlosen Glutofen… es sollte etwas, das man Schnee nannte, gegeben haben – winzige Eiskristalle, jeder einzigartig geformt, die vom Himmel fielen wie ein stilles Wunder.“

Diese Sätze stammen aus einer dystopischen Schilderung namens „Kinder der Zukunft“. Mit dieser hat Selina Le einen der – aufgrund der vielen Einsendungen heuer geteilten – Jugendpreise der von der editon exil vergebenen Literaturpreise gewonnen.

„Die Menschen hier waren nicht krank, sie waren längst tot. Auch wenn ihre Herzen vielleicht noch nicht aufgehört hatten zu schlagen – ihr Geist war schon lange erloschen…“, heißt es an anderer Stelle des ausgezeichneten Textes, der zum 29. Mal vergebenen Preise mit dem Motto „Schreiben zwischen den Kulturen“; diese Autorin war krankheitshalber bei der Preisverleihung verhindert.

Preisträgerin Paula Dorten - mit der Vertreterin des u.a. auch für Kultur zuständigen Bundesministeriums sowie Moderatorin und Jurorin Jessica Beer
Preisträgerin Paula Dorten – mit der Vertreterin des u.a. auch für Kultur zuständigen Bundesministeriums sowie Moderatorin und Jurorin Jessica Beer

Zweifell

„Die Eltern erzählten mir später / Als Baby im Kreischsaal / Das Krankenhauspersonal unterbesetzt / Blieb ich unbewacht/ Mit langen Beinen und großem Mund / Zog sich die Sprache über den Fensterrand / Und biss sich fest in meinem Babynackenspeck“, spielt die zweite Jugend-Preisträgerin Paula Dorten nicht nur mit Sprachbildern, sondern auch mit humorvoll veränderten Wörtern.

Wobei sie gesteht, sich den ebenso ausgedachten Titel „Zweifell“ von einer anderen Autorin, Frieda Paris, aus einer Literaturwerkstatt ausgeborgt zu haben.

„Das Zweifell“ ist eine unterhaltsame Achterbahnfahrt durch den Schreibprozess, die Gleise mit dem zweifelnden Schreibkörper verwoben. Eine Vivisektion. Eines vorab: Esge ht gut aus. Paula Dorten gelingt es, in ihrer operativen Funktion als Autorin, die eigene Schreibwut fruchtbar zu machen – ohne Zweifel auch im real life, wie die Prämierung des Textes beweist“, würdigten die Juror:innen Grzegorz Kielawski und Christa Stippinger, die Initiatorin und Motorin der edition exil diesen Text.

Jugend-College

Neben Einzelpreise für junge Autor:innen vergibt die edition exil Jahr für Jahr auch einen Preis für schulische Projektgruppen oder Klassen. In diesem Jahr vergab ihn die Jury an Schüler*innen des Jugendcollege – Wien #advanced OST: Projekt „Fremd in Österreich“, betreut von Ganna Gnedkova-Huemer.

Zunächst einige Zitate aus den Texten von Bita, Hussein, Huzaifa, Mouhanad, Ozlo, Saleh, Samira, Shalali, Yahya und zwei Teilnehmer:innen, die aus Sorge um ihre politische und sonstige Sicherheit die Pseudonyme Abenteuer und Auswanderung verwendeten, wobei auch die beiden Namen Ozlo und Shalali aus den selben Gründen nicht die echten sind.

„Mein größter Wunsch ist, glücklich zu sein, eine Familie zu gründen und in Frieden zu leben. Diese Geschichte ist nicht nur eine von Flucht… sondern von Hoffnung, Geduld und Würde. Ich bin stolz auf mich, stolz darauf, dass ich nie aufgegeben habe. Und an jedem Tag, an dem ich in Österreich aufwache, sage ich mir: „Du bist nicht ohne Grund hier… du verdienst es zu leben… Es fehlt oft dieses besondere Gefühl und die vertrauten Aromen, die mich an meine Kindheit und an meine Familie erinnern. Manchmal vermisse ich einfach diese kleinen Details, die das Essen so besonders gemacht haben…“, heißt es unter anderem in den Texten von Mouhanad.

Und Bita formuliert: „Wenn ich an die Gerüche und Klänge meines Heimatdorfes denke, spüre ich eine Welle von Sehnsucht und das stille Verlangen, genau dorthin zurückzukehren.“
Ozlo: „Ich vermisse es, die Freizeit draußen auf der Straße zu verbringen. Wir blieben zu Hause jeden Tag bis vier Uhr morgens wach.“

Samira und Shalali vermissen vor allem Kamel-Milch aus ihrer ersten Heimat Somalia. „Diese Milch hat sehr viele Vitamine und ist sehr sättigend. Sie schmeckt überhaupt nicht so wie Ziegen- oder Kuhmilch. Bei uns in Somalia konnte man sie überall kaufen. Was ich nicht vermisse, sind Krokodile…“ (Shalali)

Saleh vermisst vor allem „Jasmin und die Pflanzen neben unserem Hus und frische Säfte, die man aus ihnen machen kann…“

Fremd in Österreich

„Als Titel für das eingereichte Projekt haben die Teilnehmer „Fremd in Österreich“ gewählt. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich nicht so fremd fühlen, und als Lehrerin tue ich alles, damit sie sich nicht fremd fühlen, aber das ist der Titel, den sie gewählt haben“, meint im erklärenden Text dazu Ganna Gnedkova-Huemer, selbst Wienerin aus der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw, die „statt Integration lieber Interaktion“ verwendet, „weil ich glaube, dass wir einen Dialog der Kulturen führen sollten und auch voneinander lernen könnten“.

Vorher schon viel geschrieben

Huzaifa, wie die meisten seiner Kolleg:innen aus Syrien, einige davon haben auf der Flucht einige Zeit in der Türkei verbracht, andere kamen aus Somalia, dem Iran und Jemen, erzählt nach der Preisverleihung Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…: „Ich hab schon bevor uns die Lehrerin nach Texten auf einige ihrer Fragen gebeten hat, rund 100 Seiten auf Arabisch über meinen Weg nach Österreich geschrieben. Das was daraus als Antworten auf ihre Fragen gepasst hat, hab ich dann auf Deutsch übersetzt, das heißt eigentlich nur ein bisschen davon, weil alles zu viel gewesen wäre, und ihr gegeben.“

Mouhanad ergänzt: „Ich hab vorher nichts darüber geschrieben, aber alles hier oben drin“ – und er deutet mit der linken Hand auf seine Stirn.
Jener junge Mann aus Somalia, der sich der Anonymisierung wegen Shalali nennt, erklärt: „Auf Englisch hatte ich mehr, das Wichtigste davon hab ich dann auf Deutsch übersetzt.“

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Beiträge aus früheren Jahren

Zwei der diesjährigen exil-Literatur-Preisträgerinnen: Ludmila Doležalová und Olja Alvir

„Diese fremde Sprache kitzelt und kratzt im Mund…“

„Ich habe mir eure Sprache geliehen,
diese fremde Sprache, die in meinem Mund kitzelt,
krabbelt, kratzt,
ich beiße auf Buchstaben, kaue sie, versuche sie zu
schlucken, aber meine Zunge wehrt sich,
unbekannte Silben, Umlaute, Präpositionen, Artikel
strömen auf mich ein – ich kann es nicht.
Und es geht mir besser.
Nach dieser Schwimmleistung geht es mir immer besser.
Jetzt kann ich sie euch also zurückgeben“

So steigt Ludmila Doležalová in ihren Text „Wir Ausländer“ ein. Dafür wurde ihr Freitagabend im Wiener Literaturhaus der dritte Preis in der 29. Ausgabe der exil-Literaturpreise verliehen; initiiert und vergeben von der edition Exil, die im – „dank“ der enormen Subventionskürzungen der Stadt Wien bedrohten Kulturzentrum Amerlinghaus in Wien-Neubau – wie Dutzenden andere Initiativen – ihren Sitz hat.

Die kleine, feine Edition fördert seit Jahrzehnten die Veröffentlichung von Texten in deutscher Sprache, geschrieben vor allem von Autor:innen, die mehrere Sprachen und Kulturen mit- und einbringen. So manche, die vor Jahr(zehnt)en hier ihre ersten Texte veröffentlichten, sind heute namhafte Teile des österreichischen Literaturbetriebes wie Julya Rabinowich, Dimitré Dinev, Didi Drobna oder Thomas Perle, der in den vergangenen Jahren vor allem für seine Theaterstücke bekannt ist. Er war auch Teil der Jury für die Preise 2025 – und las bei der Preisverleihung Auszüge aus allen ausgezeichneten Texten.

Grenzenlos

Übrigens die eingangs genannte Autorin bekam ihren Preis in der Kategorie Prosa – nach der lyrischen Einstimmung schildert sie in Abschnitten einerseits – und das humorvoll – Die Arbeit bei der Essenszubereitung in einer selbstverwalteten Kindergruppe mit vielfachen Hinweisen auf die so wichtigen Hygienevorschriften und andererseits von ihrem Wunsch einer ziel- und damit wohl auch irgendwie grenzenlosen, nie enden sollenden Zugreise mit Gedanken und Reflexionen über Ungerechtigkeiten auf der Welt.

Lyrik

In diesem Jahr wurde auch – wieder, nicht immer – ein eigener Lyrik-Preis vergeben. Dieser ging an Olja Alvir, die lange Zeit Prosa, darunter auch vielfach journalistische Texte – für biber und Der Standard – verfasst hatte. In mehreren – sprachspielerischen Gedichten verbindet sie mitunter höchstpersönliche Gefühle mit fast schwebend daherkommenden gesellschaftspolitischen Kommentaren auch und gerade in Sachen Migrationsdebatte. „irgendwo herzukommen / ist völlig passeé“ lauten etwa zwei Zeilen in „das Ich Ist eine falltür“.

In „literhin immeratur“ beginnt sie mit „zumindest kann man drüber gedichte schreiben! / zumindest lässt sich das in strophen gießen / zumindest kann ich das in verse wursteln“… um später die Zeile „wenigstens textdingseln“ zu erfinden und mit „immerhin“ zu spielen, es in „immer hin“ zu zerlegen.

„Den Alltag in die Lyrik zu bringen, alltägliche Ausdrücke in der Lyrik zu verwenden, das mochte ich schon immer. Ich verwende gern alltägliche Sprache, um die vermeintliche Abgehobenheit der Lyrik zu konterkarieren“, schreibt sie im an ihre Texte anschließenden Beitrag über sich und ihr literarisches Schreiben.

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Beiträge aus früheren Jahren

Bücher der jüngsten Jahre mit den Preistexten
Bücher der jüngsten Jahre mit den Preistexten
Doppelseite aus dem bebilderten Gedichtband "Ich freue mich furchtbar sehr"

Aus schlechter Laune fröhliches Lachen zaubern

Der Zauberer
steckt
seine schlechte Laune
in die linke Hosentasche

Und zaubert
aus der rechten
ein fröhliches Lachen hervor

Dieses siebenzeilige Gedicht auf Seite 54 bringt vielleicht am besten die Grundidee dieses wunderbaren Bandes der beiden preisgekrönten Kinderbuch-Künstler:innen Heinz Janisch (Text) und Linda Wolfsgruber (Illustration) auf den Punkt. „Ich freue mich furchtbar sehr“ versammelt auf fast 90 Seiten meist in sehr wenigen Zeilen große Geschichten, die allen Widernissen der Welt zum Trotz positive Momente ins Zentrum rücken. Und so riesig machen, dass sie – nein, nicht das Schlimme der Welt vergessen, aber Hoffnung vermitteln. Und dies weder zwanghaft, noch aufgesetzt oder gar pathetisch.

Doppelseite aus dem bebilderten Gedichtband
Doppelseite aus dem bebilderten Gedichtband „Ich freue mich furchtbar sehr“

So manches ergibt sich auch aus dem Humor, der beim Denken um die Ecke immer wieder mitschwingt. In etlichen Gedichten spielen Fragen eine große Rolle, nicht zuletzt in „Was kann man in Hosentaschen tragen? – Eine ganze Welt – und viele Fragen!“ Das passt wunderbar zu den ersten Ferienwochen, in der so manche Kinderunis stattfinden, in denen Kinder Hörsäle und Labors stürmen, um am Ende (beispielsweise der Kinderuni Wien bei der Sponsion) zu geloben, „nie aufzuhören, Fragen zu stellen – und Antworten darauf zu suchen“.

Nichts…

Das eine oder andere der Gedichte stößt auch riesige (kinder-)philosophische Themen auf, wenn der Autor etwa „Nichts“ zehn Zeilen widmet. Die beginnen mit einem Gefühl, das sicher jede und jeder kennt: „Heute will mir nichts gelingen / Nicht einmal / ein richtiges Gedicht /“ und damit endet, das dies gar nicht stimmt, weil nun ja doch was da steht 😉

Doppelseite aus dem bebilderten Gedichtband
Doppelseite aus dem bebilderten Gedichtband „Ich freue mich furchtbar sehr“

Eigene weitere Welten

Wie bei guten Illustrationen üblich, aber von Linda Wolfsgruber besonders meisterinnenhaft ausgeführt, eröffnen ihre Zeichnungen mehr als nur die Bebilderung des Textes. Eigene – durchgehend in grün gehaltene, sehr oft naturnahe, häufig zerbrechlich wirkende und doch kräftige menschliche, tierische und pflanzliche Figuren setzen zwischen, neben und unter die Textzeilen Bilder, die ähnlich wie der Text oft Anregungen zum Weiterspinnen der Gedanken einladen.

Ach ja, Heinz Janisch stellt dem Buch die Bemerkung voran: „In unfreundlichen Zeiten braucht es freundliche Gedichte.“

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Titelseite des bebilderten Gedichtbandes
Titelseite des bebilderten Gedichtbandes „Ich freue mich furchtbar sehr“
Seiten aus dem Buch "Das Friedenstier"

Wo versteckt sich das Friedenstier?

Inspiriert von den berühmten (Friedens-)Tauben mit einem Ölzweig im Schnabel tummeln sich ganz viele – unterschiedlichste – Tiere in dieser bzw. ähnlicher Pose. Nicht selten auch Fantasie- und Fabelwesen. Am Beginn und am Ende des üppig, fantasievoll und immer wieder auch berührend illustrierten Buches – auch mit so manchen Texten – demonstrieren Tiere mit Tafeln für Frieden – in unterschiedlichsten Sprachen.

Doppelseite aus dem Buch
Doppelseite aus dem Buch „Das Friedenstier“

Initiative

„Das Friedenstier“ – Untertitel: „mit Stift und Flügel für den Frieden) ist ein Gemeinschaftsprodukt Dutzender Künstler:innen, initiiert von den bekannten Illustratorinnen Friederike Ablang, Merle Goll und Sabine Kranz. Gerade weil die aktuellen Zeiten alles andere als friedlich sind, wollten sie – in einem Gespräch auf der berühmten Frankfurter Buchmesse was dafür und gegen die – nicht nur eigenen – Ängste, Sorgen samt Ohnmachtsgefühlen tun. Ihrer Initiative folgten viele Illustrator:innen und dachten sich die unterschiedlichsten Friedenstiere aus, später folgten auch Autor:innen.

Seiten aus dem Buch
Seiten aus dem Buch „Das Friedenstier“

Geschichten

Die Texte reichen von Kurzgeschichten – etwa wenn Friede und Krieg aufeinandertreffen. Kristina Kreuzer lässt letzteren sagen: „Ich möchte Böses tun. Basta. Alle sind gemein zu mir, keiner versteht mich. Und ja, schlecht geschlafen habe ich außerdem. Aber umso besser, denn wenn es mir selbst schlecht geht, kann ich besser Böses tun.“

„Der kleine Friede fragt den Krieg: Was hältst du von einem Croissant? Komm, ich gebe dir einen Kakao dazu aus und wir setzen uns in die Sonne! Widerwillig stimmt der große Krieg zu und folgt dem kleinen Frieden zum Café am See…“

Seiten aus dem Buch
Seiten aus dem Buch „Das Friedenstier“

Im eigenen Umfeld

Mag diese Sichtweise vielleicht ein wenig naiv sein, blendet sie gesellschaftliche Faktoren und (wirtschaftliche) Interessen, die zu Krieg führen aus – übrigens durchgehend im Buch -, so setzt sie dort an, wo die oder der Einzelne, egal wie alt oder jung, etwas im eigenen Umfeld tun könnte für ein friedliche(re)s Zusammenleben.

Doppelseite aus dem Buch
Doppelseite aus dem Buch „Das Friedenstier“

Viele der Texte sind in Gedichtform. Manche utopisch, andere fantasiegetrieben, dritte auch ein wenig skeptisch: „Wo lebt es denn, das Friedenstier? / Bestimmt weit for von hier. Fernab / an einem streng geheimen Ort…“ (Text: Dirk Pope mit Zeichnungen von Svenja Kretschmer und Kathrin Rödl).
Die drei Initiatorinnen wollten aber gleich auch noch – über das Buch hinaus Gutes tun: „Sämtliche Erlöse aus dem Verkauf des Buches, auch die Honorareder Künstlerinnen und Künstler und die Arbeit des Verlags fließen als Spende an die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.“

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Titelseite des Buches
Titelseite des Buches „Das Friedenstier“

Doppelseite aus dem Bilderbuch "wolkenschaum"

Gedichtete und gezeichnete Loblieder auf das Leben im Moment

„ob es ewig gibt
kann ich nicht sagen
aber jetzt gibt es
und noch viele
fragen.“

Mit diesen fünf Zeilen endet das erste Gedicht von Michael Hammerschmid in seinem neuesten Buch „wolkenschaum“. Das erschien kürzlich, knapp bevor bekannt wurde, dass er für „was keiner kapiert“ – illustriert von Barbara Hoffmann – mit einem der vier österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreise ausgezeichnet wurde (Preisverleihung im Mai) – Überblicksartikel zu allen Preisbüchern in einem eigenen Beitrag, der am Ende dieser Buchbesprechung unten verlinkt ist.

Doppelseite aus dem Bilderbuch
Doppelseite aus dem Bilderbuch „wolkenschaum“

Moment – und dennoch weitreichende Kinder-Fragen

Zurück zu „wolkenschaum“, für das María José de Tellería die textlichen Gedankenspielereien des Autors um mindestens so fantasievolle Bilder – viele im Stile von Kinderzeichnungen – erweiterte: Die zwölf Doppelseiten tauchen ein in Kinderwelten, rücken das Genießen des Lebens im Moment ins Zentrum – und betten dieses doch immer wieder auch in von Kindern angestellte Gedanken darüber hinaus ein.

Doppelseite aus dem Bilderbuch
Doppelseite aus dem Bilderbuch „wolkenschaum“

So beginnt das erste der Gedichte – manche gereimt, andere nicht, alle in Kleinschreibung -, aus dem eingangs die Schlusszeilen zitiert sind, mit der Frage „was war bevor ich war?“. In „hier bleibe ich stehen“ mit der Konzentration auf das, was dabei rundum zu sehen und hören ist, ist dennoch viel in Bewegung. Radfahren, ein Luftballon und Gedanken rund um dieses flatterhafte Wesen, über Lachen, Kuscheltiere und die Kunst des Malens nur mit Licht und Schatten, Schnee sowie Regen sind weitere der Themen, in die du per Wort- und Gedankenspiel samt verspielten Zeichnungen eintauchen kannst.

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Titelseite des Bilderbuchs
Titelseite des Bilderbuchs „wolkenschaum“
Doppelseite aus dem Lyrik-Jugendbuch "Was keiner kapiert"

Was ist der Algorhythmus für ein Rhythmus?

Was ist das für ein
Rhythmus
Man nennt dich
Algo Rhythmus
Ich sprüe nicht den Rhythmus der meinen
Rhythmus kennt
Was kenn denn
dieser Rhythmus…

Fast 100 Seiten voller fragender, tiefgreifender und hochphilosophischer Gedanken packte Michael Hammerschmid in sprach- und gedankenverspielte Gedichte. Viele dieser entziehen sich den meisten formalisierten Strukturen – frei schwebende, „konkrete Poesie“, praktisch immer ohne Satzzeichen.

Doppelseite aus dem Lyrik-Jugendbuch
Doppelseite aus dem Lyrik-Jugendbuch „Was keiner kapiert“

„nichts zu werden verspricht“

Mehr Fragen welt- und persönlichkeitsbewegender Natur als Antworten versammelt „Was keiner kapiert“. Ein Ausdruck des Suchens – wie dies wohl (fast) alle Gehirne und Gefühle Jugendlicher durchzieht. Angesichts der zunehmend unübersichtlicher werdenden Welt, überwältigen ähnliche Gefühle auch viele Erwachsene. Wenngleich sich viele der Lyrik-Zeilen doch eher an Pubertierende richten – oder deren Gefühle Erwachsenen nahezubringen versuchen – etwa in „jemand der nichts zu werden verspricht“ (Seiten 12/13 – übrigens eine der seltenen Seiten ohne Illustrationen oder wenigstens optisch verspielten Gestaltungen des Textes.

Doppelseite aus dem Lyrik-Jugendbuch
Doppelseite aus dem Lyrik-Jugendbuch „Was keiner kapiert“

Erweiterend, verzerrend

Für diese – durchgängig in Tintenblau gehaltenen Illustrationen sorgte Barbara Hoffmann, die – ebenfalls im Jungbrunnen Verlag – vor nicht ganz drei Jahren „Alles, was gesagt werden muss“ veröffentlichte (damals Bild und Text). Hier erweitert sie mit ihren fantasievollen Zeichnungen die poetischen philosophischen Gedanken des Autors in eine weitere Dimension. Oder erweckt Texte durch verspielte Gestaltungen zu erweitertem Leben wie auf Seite 65, wo gezeichnete Wassertropfen einzelne wenige Buchstaben verzerren, als würdest du sie durch ein Wasserglas betrachten.

Trotz etlicher Sprach- und Gestaltungsspiele durchziehen sich durch die Realtitäten aufdrängende sehr ernste Gedanken viele der Gedichte, etwa in „Er fetzt in mich“
„der krieg fetzt
in mich
der bildschirm zerfetzt
ich bin nach
außen unverletzt
die bilder
fahren tief in mich
die worte schlagen
fürchterlich artikel
lese ich doch
fass ichs nicht…“

Muss nicht

Und bei dem einen oder anderen der Gedichte drängt sich die Erkenntnis des Schweizer zeitgenössischen Dichters zu Bildern des Malers Ernst Kreidolf – siehe Rezension von „Kreidolf reloaded“, Link unten am Ende des Beitrages – auf:
„Die Antwort steht nicht im Gedicht:
Die Antwort gibt es bisher nicht:
Vielleicht fällt dir dazu was ein?
Es darf nur eins nicht: logisch sein.“

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Titelseite des Lyrik-Jugendbuchs
Titelseite des Lyrik-Jugendbuchs „Was keiner kapiert“
Doppelseite aus "Kreidolf reloaded"

„Die Antwort steht nicht im Gedicht“

Blumenkinder in einem Getreidefeld mit langen schmalen, spitzen grünen Blättern sind begleitet von dem Vierzeile „Lilienkrieg“
Schwertlilien kämpfen hier
mit dem spitzen Blätterschwert.
Schöner wärs, das wissen wir,
wär das Leben unbe-Schwert.“

So wie der bekannte Schweizer Kinderbuch-Illustrator und -macher Ernst Kreidolf (1863 – 1956) mit Bildwitz arbeitete, so greift Lorenz Pauli, bekannter Schweizer Kinderbuch-Autor immer wieder zu Wortwitzen wie im obigen Zitat. Das ist dem 50 Seiten starken Bilderbuch „Kreidolf reloaded“ entnommen.

„Sprachkünstler trifft Malerpoeten“

Fein gemalte, genaue Naturbeobachtungen, deren Blumen, Tiere und die wenigen vorkommenden Menschen im Wechselspiel mit der Natur aber schon auf den ersten, noch viel mehr auf weitere Blicke Humor ausstrahlen. Das sind Illustrationen von Ernst Kreidolf. Zu vielen seiner Bilder schrieb er einst selbst Gedichte. Rund ein Dutzend seiner Bücher sind im engagierten auf höchste Qualität Wert legenden Nord-Süd-Verlag erschienen.

Der ebenso bekannte zeitgenössische Schweizer Kinderbuch-Autor Lorenz Pauli zu nahm sich in Zusammenarbeit mit Verlag sowie der Ernst-Kreidolf-Stiftung viele der Bilder her und dichte neue Texte dazu.

Doppelseite aus
Doppelseite aus „Kreidolf reloaded“

Während der „Malerpoet“ wie Anna Lehninger, Kunsthistorikerin und im Vorstand der genannten Stiftung, Kreidolf nennt, eher beschreibende Texte zu seinen Gemälden verfasste, wählte Pauli einen out-of-the-box-Blick auf die Zeichnungen.

Inspirationsquelle und viel Fantasie

Für ihn waren die Bilder Inspirationsquelle für gereimte kleine Geschichten, die er in den Illustrationen sah. Samt Texten, die Wesentliches der eigenen Profession preisgeben. So regte ein blondbärtiges reitendes Männchen mit großem Hut und grünem Frack auf einer Art Hund mit Fell, das offenbar einem anderen Tier abgezogen wurde, und auf dessen Rücken ein großes Schneckenhaus wackelt zum Text „Worum es geht“ an.

„Wenn dich das Bild hier interessiert,
wenn du dich fragst, was hier passiert,
….
wenn du mich fragst. Ja, wenn, wenn, wenn…
Glaubst du, dass ich die Antwort kenn?

Die Antwort steht nicht im Gedicht:
Die Antwort gibt es bisher nicht:
Vielleicht fällt dir dazu was ein?
Es darf nur eins nicht: logisch sein.“

Jedenfalls ein Bilderbuch von Fantasie gekennzeichnet, das solche auch weiter bei Leser:innen und Betrachter:innen anregen kann.

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Titelseite des Bilderbuchs
Titelseite des Bilderbuchs „Kreidolf reloaded“
Doppelseite aus "Ich hab da was für dich - Wortgeschenke und Gedankenstupser"

Im Alphabet wachsen Gedichte

Im Blumenbeet wachsen Blumen:
Im Gemüsebeet wächst Gemüse.
Im Kräuterbeet wachsen Kräuter.
Und im Alphabet wachsen Geschichten.“

Dies ist – gemeinsam mit einer bunten Zeichnung – eine knapp 90 Seiten aus dem brandneuen Buch „Ich hab da was für dich – Wortgeschenke und Gedankenstupser“ von Lena Raubaum (Text) und Katja Seifert (Illustrationen)

Obwohl Kinder Reime lieben – und auch leicht lernen – gibt es im deutschsprachigen Raum nicht allzu viele Autor:innen, die sich der Lyrik insgesamt sowie jener für junge Leser:innen verschrieben haben. Eine jedenfalls ist Lena Raubaum, die immer wieder herzerwärmende, mitunter hirnkitzelnde, jedenfalls sehr oft sprachverspielte Gedichte verfasst.

Doppelseite aus
Doppelseite aus „Ich hab da was für dich – Wortgeschenke und Gedankenstupser“

Besonderes Tun-Wort

Auch wenn vielleicht die eine oder der andere, die in Schulen unterrichten den Kopf über das Ver-rücken der Grammatik schütteln würden, aber ist es nicht herrlich, wenn es unter dem Titel „Laute Hoffnung“ heißt:
Ich hoffe / dass niemand / jemals vergisst / dass FRIEDEN / ein Tunwort ist“

Stehen die einzelnen Gedichte meist für sich, so streut die Autorin eine kleine Serie von „Es klopft“-Gedichten in das Buch. Jedes Mal steht eine andere „Persönlichkeit“ vor der Türe – Zuversicht, Zukunft, Langeweile, Streich.

Sagt erstere „ich wusste, dass du zu Hause bist“, so fragt die Langeweile: „Willst du mit mir spielen“. Was beim streich passiert? Nein, das wird hier sicher nicht gespoilert.

Doppelseite aus
Doppelseite aus „Ich hab da was für dich – Wortgeschenke und Gedankenstupser“

Kleine Anmerkung zu den Zeichnungen der frech-witzigen Figuren – ein wenig mehr Diversität wäre kein Fehler.

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Titelseite des illustrierten Gedichtbandes
Titelseite des illustrierten Gedichtbandes „Ich hab da was für dich – Wortgeschenke und Gedankenstupser“
Marika Rainer (Schauspiel, Gesang) und Dieter Stemmer (Livemusik und Schauspiel) bei "Mira Lobe - Live Hörspiel" im Wiener WuK

Die Frau hatte eine Sau – und die hat Schwein

Mit einem Mittelding aus Grunzen und Schnarch-geräuschen versucht die Schauspielerin und Sängerin Marika Rainer im rosa Overall ihren Musiker-Kollegen Dieter Stemmer, der auf dem Keyboard eingeschlafen spielt, aufzuwecken. Und schleppt selbst noch ein zweites Keyboard heran. Um dann – gar nicht auf dem Instrument, sondern gesanglich, sprachliche und immer voll in Bewegung die schräge Geschichte vom „quiek-fidelen Borstenvieh“ zu erzählen.

Oper, Italo-Klassiker…

Es ist eine lange Geschichte mit vielen Wendungen in Reimen über eine Frau, die hatte eine Sau. Die aber haute ab und erlebt die ver-rücktesten Situationen, viele davon in einem Kaufhaus. Immer wieder muss sie aus unterschiedlichsten Gründen davonrasen. Natürlich hat sie dabei immer wieder das sprichwörtliche Schwein. Hin und her wuselt die singende Schauspielerin – unterstützt von unterschiedlichsten Melodien etwa einem Opernarien-artigen sowie dem italienischen Klassiker vom Fliegen „Volare“ – die ihr Kollege am Keyboard spielt. Und mit von ihm und auch von ihr auf ihrem Keyboard eingespielte digitale Geräusche und Sounds. Mehrmals rennt sie auch zwischen den Zuschauer:innen die Publikumstribüne rauf und runter.

Marika Rainer (Schauspiel, Gesang) und Dieter Stemmer (Livemusik und Schauspiel) bei
Marika Rainer (Schauspiel, Gesang) und Dieter Stemmer (Livemusik und Schauspiel) bei „Mira Lobe – Live Hörspiel“ im Wiener WuK

Mira Lobe

Geschrieben hat diese gedichtete Story die bekannte österreichische Kinderbuchautorin Mira Lobe (1913 – 1995). Du kennst vielleicht „Die Geggis“ oder „Das kleine ich bin ich“. Das quiek-fidele Borstenvieh“ – illustriert von Winfried Opgenoorth – ist 1983 erschienen und nur mehr gebraucht – zum Teil ziemlich teuer – erhältlich. Sie ist heute sogar so unbekannt, dass sie nicht einmal auf der Miralobe-Homepage zu finden ist.

Live-Hörspiel nennen die Künstler:innen – Regie Yvonne Zahn – ihre Performance, die nun noch am Sonntagvormittag im Wiener WuK zu erleben ist – Details in der Infobox am Ende des Beitrages.

Ein Haus erwacht – in der Nacht, oder

Als viele Kinder schon vermuten und einige auch hofften, dass mit dem Ende der Schwein-Geschichte die Performance aus ist, kommt noch eine zweite ebenfalls gereimte Story von Mira Lobe „Hokuspokus in der Nacht“. Diese Geschichte hatte sich übrigens der Illustrator Opgenoorth ausgedacht und Lobe zu seinen Zeichnungen den Text gereimt.

Marika Rainer (Schauspiel, Gesang) und Dieter Stemmer (Livemusik und Schauspiel) bei
Marika Rainer (Schauspiel, Gesang) und Dieter Stemmer (Livemusik und Schauspiel) bei „Mira Lobe – Live Hörspiel“ im Wiener WuK

In einem alten großen Haus erwacht zunächst die Maus Marlene und schaut zum Fenster raus. Stockwerk für Stockwerk gehen Lichter an und mit dem Bühnenduo lernen wir die verschiedensten Figuren und Personen kennen, einen Geiger und ein Trompeterin, eine Schlagzeugerin, einen Seiltanzenden Clown und zuletzt noch ein Krokodil – die Party geht richtig ab. Marika lädt Kinder auf die Bühne, um mit ihr Twist zu tanzen, Dieter greift sich ein neues Instrument, eine Keytar – umgehängt wie eine Gitarre ist es sozusagen ein tragbares Keyboard. Nur ein wenig zu wenige bunte Party-Hütchen für die mittanz-willigen Kinder sind verfügbar.

Doch dann ist der Hokuspokus vorbei: Alles sieht wie am Anfang aus: Ein Garten, ein großes altes Haus, das völlig im Dunkeln liegt… – war das kunterbunte Nachtleben vielleicht „nur“ ausgedacht – oder erträumt?

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Marika Rainer (Schauspiel, Gesang) und Dieter Stemmer (Livemusik und Schauspiel) bei
Marika Rainer (Schauspiel, Gesang) und Dieter Stemmer (Livemusik und Schauspiel) bei „Mira Lobe – Live Hörspiel“ im Wiener WuK
Doppelseite aus "Tierische Außenseiter"

„Mal sehr klein, mal nicht fein…“

Schon lange sind es nicht mehr nur die (aller-)beliebtesten Tiere wie Katzen, Hunde, Bären oder – gerade aktuell – Hasen, die in Kinderbüchern eine große Rolle spielen. Kraken, Quallen, Haie – sie sind etwa die Hauptfiguren in literarisch-verspielten Sachbüchern von Michael Stavarič mit Illustrationen von Michèle Ganser. Aber auch ganz andere wie Grütelmull und viele weitere haben es zu (Bilder-)Buch-Ruhm gebracht.

Doppelseite aus
Doppelseite aus „Tierische Außenseiter“

In gedichteter und illustrierter Form widmen Nils Mohl und Katharina Greve ein ganzes Buch (72 Seiten) Spinnen, Käfern, Schlangen, Skorpionen, Asseln, Stachelschweinen und anderen kriechenden, fliegenden, hüpfenden, schwimmenden Kreaturen, die sie „Tierische Außenseiter“ nennen.

Die Gedichte – alle in Kleinschreibung, und weitestgehend gereimt – beginnen und enden sozusagen schon vor dem Anfang bzw. dem Ende.

Doppelseite aus
Doppelseite aus „Tierische Außenseiter“

Zu Beginn sozusagen die einleitende Zusammenfassung:
„mal sehr klein / mal voll schleim / mal nicht fein/ … echt unknuddelig / wer will so sein? / wer so denkt / der kennt sie schlecht / denn alle außenseiter / sind doch meist die größeren fighter!“

Selbst Schrift kommt ziemlich passend verspielt daher, wenn unter dem Titel „ich spinne“ ein Spinnenfaden Buchstaben für Buchstaben untereinander – allerdings gar nicht gerade, sondern in Wellen – zu den nächsten beiden Zeilen führt 😉

Am Ende gibt’s eine Zugabe – und das natürlich für einen „Star“!

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Doppelseite aus "stopptanzstill!"

Vom schwebenden Wal bis zur Riesenkatze an der Hauswand

Ein fliegender Wal, einst fix auf dem Dach eines Gasthauses im Wiener Prater montiert, seit Wieder-Eröffnung des renovierten, ausgebauten Wien-Museums von der Decke schwebend, zeigt seine Barten schon auf der Titelseite. Und hat auch im Buch eine Sonderstellung. Alle anderen Tiere – ob als 3-D-Figuren aus unterschiedlichsten Materialien wie Stein und Metall oder an Hauswänden gemalt oder als Mosaike bzw. Reliefs – haben je eine Doppelseite. Der Wal erstreckt sich über drei Doppelseiten.

Einerseits ist „stopptanzstill!“ ein üppiges Buch mit Fotos von Objekten aus dem Museum bzw. aus der Stadt Wien – genauso ist es aber auch ein Gedichtband. Das Wien Museum hatte den bekannten Kinder-Lyriker Michael Hammerschmid gefragt /gebeten zu solchen Objekten und Bildern Gedichte zu verfassen. Dabei kam er, der schon etliche Preise – dann auch für dieses Buch – bekommen hatte, drauf, dass er, obwohl für Kinder dichtend, noch kaum Tierreime geschrieben hatte.

Doppelseite aus
Doppelseite aus „stopptanzstill!“

„Irgendwie wilde Auswahl“

Rasch ließ sich der Autor auf dieses Abenteuer ein, bekam vom Museum Vorschläge, suchte aber auch selber viel in Foto-Datenbanken wie er Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… auf die entsprechende Anfrage anvertraute. „Ganz wichtig natürlich war, welche Figuren mich zu einem Gedicht angeregt haben. Also ich durfte mich da auch intuitiv bewegen und so entstand eine irgendwie wilde Auswahl, hoffe ich zumindest, die kreuz und quer durch Zeit und Raum führt.“

Doppelseite aus
Doppelseite aus „stopptanzstill!“ – diese Skulpturen sind, wie viele andere auch bespielbar

Zwischen sechs und 12 Millionen Jahren

Zeitlich spannt sich der Bogen übrigens von einem rund 12 Millionen Jahre alten Objekt bis zu einer erst sechs Jahre jungen Wandmalerei. Das älteste eben angesprochene Ding ist der Wirbel eines Delfins, der einst in Hernals (17. Bezirk) gefunden wurde, dem Naturhistorischen Museum gehört, das diesen Knochen dem Wien Museum leiht. Und das aufs erste ganz anders aussieht – wie eine Fledermaus. Wie in vielen anderen seiner Gedichte philosophiert der Autor über das Gesehene, manchmal scheint er auch mit dem jeweiligen Gegenstand oder Bild zu sprechen. Nicht selten wirft er Fragen in den Raum.

Erst 2018 malten die Straßen-Künstler:innen (Street Art) Lunar, Smack und Ruin eine riesige Katze im Comic-Stil an eine große Hausmauer in Favoriten (10. Bezirk; Franz-Koci-Straße 14).

Ungewöhnliche Gedichte

Obwohl Kinder Gedichte lieben, sind Hammerschmids Texte sicher anfangs, vor allem für noch wenig geübte Leser:innen, ein wenig gewöhnungsbedürftig. Reime sind nicht seine bevorzugte Sache; und häufig beginnt ein Satz, ein Gedanke – übrigens alles in Kleinschreibung und oft ohne, meist jedenfalls mit sehr wenigen Satzzeichen – in der einen Zeile unvermittelt und setzt sich erst nach dem Absatz fort.

Doppelseite aus
Doppelseite aus „stopptanzstill!“

Für eine Doppelseite ließ sich der Autor etwas ganz Besonderes einfallen. Da suchst du das Tier vergeblich. In der rechten unteren Ecke wirken zwei ovale helle Öffnungen in einem schwarzen runden Ding lediglich wie Augen. Das dazugehörige Gedicht auf der Seite daneben: „das tier das man nicht sieht“ mit vielen Fragen, was es sein könnte, ob es noch da ist, oder…

Vielleicht ist es gerade diese Doppelseite, die zum eigenen Fantasieren mit Gedanken- und Wortspielen einlädt. Und die anderen Gedichtformen auch dazu, sich beim Dichten nicht unbedingt an vorgegebene Regeln aus der Schule halten zu müssen 😉

PS: Auf der vorletzten Seite im Buch gibt’s einen QR-Code – über den kommst du zu Audio-Dateien. Der Autor selbst hat alle Gedichte eingesprochen. Jedes Gedicht ist eine eigene Datei.

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Doppelseite aus "Links vom Mond steht ein kleiner Stern"

„Und wer jetzt noch weiter reimen will…“

Das Bett ist gemacht.
Gute Nacht.
Gute Nacht, großer Tisch.
Gute Nacht, großes Zimmer –
hallo, Fisch!
Du schwimmst ja noch immer!

Lang ist die Liste all der Dinge, die noch einen „Gute Nacht“-Sager brauchen – dies ist aus einem von jenen – nicht nur – Gute-Nacht-Gedichten von Friedl Hofbauer, das in einem ganz neu erschienenen Buch mit neuen Illustrationen (Cornelia Seemann) erschienen ist. Zu Ehren der 100. Wiederkehr ihres Geburtstages (19. Jänner 2024), den sie leider nicht mehr miterleben kann (sie starb vor rund zehn Jahren).

Doppelseite aus
Doppelseite aus „Links vom Mond steht ein kleiner Stern“

„Links vom Mond steht ein kleiner Stern“ gewährt ein bisschen Einblick in die fantasievolle Lyrik der Dichterin – etwa im Gedicht „Der Vorhang“ wo diese zum Zwergengarten, Zaubersee und Tannenwäldchen ebenso wird wie zur Wurstfabrik, Garage und Meer…

Neben den Gute-Nacht- und Einschlaf-(Versuch-)-Gedichten findet sich in diesem Band aber auch ein anderes, „Reimen“, das zum weiter-dichten einlädt, heißt es doch am Ende: „Und wer jetzt noch weiter reimen will,/für den ist das Gedicht/noch lange nicht/aus.“

Wie Hofbauer zu ihren Gedichten kam

Dieser Gedichtband enthält aber auch ein höchst interessantes Vorwort, verfasst von Friedl Hofbauers Tochter Anna Mellach, in dem sie sich daran erinnert, wie ihre Mutter zu so manchen ihrer Gedichte gekommen ist. Unter anderem schreibt sie: „Wir sind mit ihren Gedichten aufgewachsen, mein Bruder und ich, und konnten miterleben, wie sie entstanden sind. Mama ging so aufmerksam und neugierig durchs Leben, dass ihr vielerorts Gedichte begegneten: Wenn zum Beispiel im Badezimmer die Waschmaschine lief, hörte Friedl ihr genau zu und schrieb es auf: „Was die Waschmaschine sagt: Wischiwaschi wäschewaschen wischiwaschi wumm!“ Friedl Hofbauer liebte es, mit der Sprache zu spielen.“

Doppelseite aus
Doppelseite aus „Links vom Mond steht ein kleiner Stern“

Mellach zitiert aber auch die vielfachen Bemerkungen der großen Lyrikerin, behutsam mit Sprache umzugehen. „Die Redewendung „Alarm schlagen“ werde viel zu oft unüberlegt, geradezu inflationär benutzt. „Wenn du einmal erlebt hast, was ‚Alarm schlagen‘ im Krieg bedeutet hat“, erklärte sie, „wirst du es vielleicht nicht mehr so leichtfertig verwenden.“ Und bringt ein weiteres Beispiel ein, das sie selber aus dem Vorsingen eines Schlafliedes für ihre Tochter, also Friedl Hofbauers Enkelin, lernte. In „Guten Abend, gute Nacht“ gibt es ja die Liedzeile „Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt!“ Ihre Tochter habe sich vor dieser Zeile „gefürchtet, denn „was ist, wenn Gott nicht will?“ Auf die Idee wäre ich nie gekommen! Aber es zeigt wieder einmal, wie behutsam man mit Sprache umgehen muss – und wie wichtig es ist, Dinge auszusprechen!“, schreibt Mellach in diesem ausführlichen Vorwort.

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Titelseite des Bilderbuchs
Titelseite des Bilderbuchs „Links vom Mond steht ein kleiner Stern“
Doppelseite aus dem Bilderbuch "Dunkel war's, der Mond schien helle"

Finster, gleichzeitig hell und andere Nonsens-Reime

Finster, oder in anderen Versionen „Dunkel war’s, der Mond schien helle“ ist ein über viiiiele Generationen, meist mündlich weitergegebenes sogenanntes Nonsens-Gedicht. Ein Widerspruch nach dem anderen reimt sich in Gedichtform aneinander. Blitzschnell und langsam ergeben im Normallfall gleichzeitig genau gar keinen Sinn. In der Fantasie, in der Literatur, speziell der Lyrik (Gedichtform) ist aber so ziemlich alles möglich. Gedanken- und Wortspiele sind nicht nur erlaubt, sondern in manchen gerade die Voraussetzung.

Uwe Gutzschhahn dichtet gern und viel. Weil er aus Erfahrungen in Schul-Workshops befürchet, dass dieses oben angesprochene wohl bekannteste Nonsens-Gedicht im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit zu geraten droht, ergriff er eine Initiative. In der Coronazeit bat er digital einige Kolleginnen und Kollegen, sich neue Reime für das anonyme Gedicht einfallen zu lassen. Rund ein Dutzend Autor:innen, darunter so bekannte wie Paul Maar, Heinz Janisch und Elisabeth Steinkellner sowie Jens Rassmus sandten fantasievolle Widersprüche in jeweils vierzeiliger Reimform. Der zuletzt Genannte schuf auch die dazu passenden wunderbaren, ebenfalls fantasievollen Bilderwelten für jede der Doppelseiten, schon beginnend mit dem an einer Schnur baumelnden Mond als O in „seinem“ Wort über düsterem Durcheinander unter der Schrift.

Doppelseite aus dem Bilderbuch
Doppelseite aus dem Bilderbuch „Dunkel war’s, der Mond schien helle“

Was Lyrik alles kann…

Wenn Uwe Gutzschhahn über Kinderlyrik spricht, gerät er ins Schwärmen – darüber welche Welten sich in knappen, verdichteten Zeilen öffnen (können). Und wie scheinbar widersprüchliches doch voll und ganz passt. Anlässlich der Präsentation seines Buches „Der kleine Eiskönig“ – wunderbar illustriert von Linda Wolfsgruber (Links dazu unten am Ende des Beitrages) schildert Gutzschhahn dies am Beispiel eines Reimes von einem Schüler in einem seiner Workshops – Video-Link dazu ebenfalls unten am Ende dieses Beitrages.

Doppelseite aus dem Bilderbuch
Doppelseite aus dem Bilderbuch „Dunkel war’s, der Mond schien helle“

Als Herausgeber der nunmehrigen fortgesetzten – wobei sich, insbesondere zu Beginn, auch Reime aus dem Original finden – trug er natürlich auch selbst ein Gedicht bei, aber er holte auch vier Zeilen einer zwölfjährigen Schülerin aus einem seiner Workshops ins Buch, Laura Depperschmidt. Welches der gereimten widersprüchlichen Bilder von ihr stammt, wissen mehr oder minder nur die beiden. Als Herausgeber nennt er zwar alle Autor:innen, aber in keinem Fall eine Zuordnung. Beim Urgedicht weiß es ja auch niemand, von wem die Zeilen sind, so sein Argument im Nachwort.

Kleiner Wermutstropfen: Obwohl ein Drittel der Autor:innen weiblich ist, hat’s keine von ihnen auf das Buchcover geschafft, wo nur auszugsweise Männer genannt werden.

Am Ende des Nachwortes hofft der Herausgeber, dass Leserinnen und Leser sich von den Gedichtzeilen anregen lassen, selber weitere schräge (Wort-)Bilder zu finden…

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Titelseite des Bilderbuchs
Titelseite des Bilderbuchs „Dunkel war’s, der Mond schien helle“
Munira Mohamud trug mehrere Gedichte vor

Fällt leichter, mich künstlerisch auszudrücken

Fast ein Dutzend Jugendlicher und junger Erwachsener traten beim Abend „Wem gehört die Bühne“ im Theaterhaus für vor allem junges Publikum im Wiener MuseumsQuartier ins Rampenlicht. Eine 17-jährige Journalismus-Praktikantin bei Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… interviewte Munira Mohamud.

KiJuKU: War das heute dein erster Poetry Slam oder hast du schon davor bei solchen Veranstaltungen mitgemacht?
Munira Mohamud:Das erste Mal war in diesem Jahr, aber ich kann mich nicht erinnern wann, weil ich so einen Abwehrmechanismus habe, wodurch ich durch Nervosität meine Performances vergesse. (Lacht) Ich kann mich erinnern, ich habe etwas vorgetragen, aber ich könnte nicht sagen, wann es war, aber ich weiß es war dieses Jahr das erste Mal.

Munira Mohamud trug mehrere Gedichte vor
Munira Mohamud trug mehrere Gedichte vor

KiJuKU: Wo war dein erster Auftritt?
Munira Mohamud: Es war bei „Salam Oida“, einem Verein, der viel mit Kunst und Kultur von Menschen mit Migrationsbiografie und muslimischen Personen macht.

KiJuKU: Welche Bedeutung hat Kunst generell in deinem Leben?
Munira Mohamud: Ehrlich gesagt wollte ich Kunst studieren und Skulpturen machen, aber ich habe realisiert, dass das ein Prestigestudium ist und war verunsichert. Ich habe auch nicht so viele Leute gesehen, die ausschauen wie ich und Kunst machen. Dann war ich so: Vielleicht ist das doch nichts für mich. Zum Glück interessiert mich vieles, ich habe Politikwissenschaften studiert und bin sehr zufrieden damit. Ich habe angefangen zu schreiben, weil es fällt mir sehr schwer, Emotionen zu „expressen“. Vieles unterdrücke ich, deswegen habe ich angefangen zu schreiben. Es ist mir viel leichter gefallen, sie in Schrift festzuhalten, als wirklich zu sagen, was das Problem ist.

KiJuKU: Ist Lyrik deine Lieblingsform des Schreibens?
Munira Mohamud: Lyrik ist meine Lieblingsform, weil sie viel einfacher zugänglich ist als Prosa. Prosa geht sehr oft in die Länge und muss grammatikalisch korrekt sein, auch die Zeichensetzung. Bei Lyrik hast du viel mehr Freiraum, auch Sachen auszulassen, falsch oder anders zu schreiben. Das hat mir voll gefallen, weil dann auch die Angst vorm Schreiben weg war.

KiJuKU: Hast du auch überlegt, etwas in die Richtung zu studieren?
Munira Mohamud: Ich studiere Politikwissenschaft und Chinesisch. Wenn ich Sprache studiere, habe ich Angst, dass mein Interesse verloren geht, weil ich es dann mit Prüfungen und Noten verbinde und dann meine Kreativität verliere. Ich habe oft überlegt, Sprachkunst zu studieren.

Munira Mohamud trug mehrere Gedichte vor
Munira Mohamud trug mehrere Gedichte vor

KiJuKU: Was brauchst du, um kreativ zu sein?
Munira Mohamud: Es hilft mir voll, wenn ich Ziele habe. Wenn ich zum Beispiel weiß, ich performe irgendwo, dann fällt es mir auch viel leichter, Gedichte zu schreiben, weil ich ein Ziel verfolge. Ich schreibe auch oft, wenn ich viel fühle. Oft gehe ich noch immer zu meinem Ursprung. Wenn ich Emotionen nicht verarbeiten kann, schreibe ich sie auf. Das sind meistens Gedichte, die nicht vorgelesen werden, weil sie sehr wischiwaschi und persönlich sind. Ich weiß nicht, ob ich Leuten diesen Teil meiner Selbst zeigen möchte – jetzt.

KiJuKU: Gibt es irgendwas Wichtiges, was du der Welt gerne sagen würdest?
Munira Mohamud: Ich möchte einfach Leuten motivieren, die schreiben wollen. Einfach schreiben. Am Anfang kann es Blödsinn sein, aber wenn du dann immer öfter zu deinen Gedichten zurückkommst, merkst du, es entsteht irgendwas. Schreiben ist generell so was Zugängliches von den künstlerischen Formen. Zum Beispiel Malen oder Skulpturen machen ist sehr elitär. Du brauchst Materialien und Geld. Fürs Schreiben kannst du einfach dein Handy herausnehmen und in deine Notizen tippen. Man kann Künstlerin sein, ohne Künstlerin zu sein.

Stefanie Kadlec, 17

Zu einem Überblicksbeitrag über die Veranstaltung, bei der Munira Mohamud aufgetreten ist, geht es hier unten

Der Autor und sein jüngster Gedichtband

König und Gesandter – Gedichte über die Welt, das Leben, Gefühle und Verstand

Auch wenn das Buchcover eine Dornenkrone in er Wüste unter dem Himmel mit leuchtendem Mond zwischen kräftigen Wolken ziert und das erste Gedicht mit den beiden Zeilen „König der Guten und Reifen/ Gesegnet sei dein Name“ beginnt, ist es kein religiöser Gedichtband. In „König“ fasst der Autor Ibrahim Rahimi, der auch gar nicht religiös ist, tiefschürfende, teils bis in die persönliche Verletzlichkeit reichende Gedanken über sich und die Welt in poetische Miniaturen von unglaublicher Größe.

Die 20 Gedichte – von „König“, „Gesandter“, „Pflicht“ über „Wunder“, „Vergangenheit“ und „Kosmos“ bis zu „Gebrochene Schicksale“, „Hauptstadt der Harmlosen“ … – ergeben wie Puzzleteile ein Gesamtbild eines hochsensiblen Menschen, der ein wenig daran (ver-)zweifelt, dass ihn die Welt kaum bis nicht versteht.

Rück- und Titelseite des Gedichtbandes
Rück- und Titelseite des Gedichtbandes „König“ von Ibrahim Rahimi, Gestaltung des Gesamtbildes Rück- und Vorderseite mit Spurn im Sand zur Leserin/zum Leser: Patricia Mustafić

Düstere Gedichte – fröhlicher Autor

Der Autor selbst strahlt – mehr noch als in einem früheren Gespräch vor mehr als sechs Jahren – praktisch das genaue Gegenteil aus: Fröhlichkeit, Optimismus, Freude am Leben und der Welt – auch wenn er einige von deren Schattenseiten mehr als zur Genüge kennt. Der 27-Jährige war vor rund sieben Jahren zum zweiten Mal in seinem Leben auf der Flucht. Als er zwei Jahre jung war, floh die Familie aus Afghanistan in den Iran, wo Afghan:innen als Bürger:innen zweiter Klasse, oft sklavenähnlich behandelt werden. Ab dem jungen Alter von acht Jahren musste er zu arbeiten beginnen und konnte nur so das Geld aufbringen, um dann ein Gymnasium zu besuchen. Nach der Matura begann er als Buchhalter zu arbeiten. Aber mit seiner Leidenschaft, Gedichte zu verfassen, in denen er sich kritisch mit allem Möglichen auseinandersetzte – von Religion bis zu weltlichen Herrschern, die sich auf erstere berufen – sah er keine Chance auf Veröffentlichungen in seiner zweiten Heimat. Nicht nur das, er sah sich sogar körperlicher Bedrohung gegenüber. So sah er sich gezwungen – diesmal allein – zu flüchten, landete in Österreich.

Der Deutschkurs allein war ihm zu wenig. „Ich wollte mehr verstehen und sprechen. Mich interessieren Menschen und deswegen wollte ich so schnell und gut wie möglich Deutsch lernen“, erzählt er im aktuellen Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… im Dschungel Café, dem Restaurant im Foyer des Kinder- und Jugendtheaterhauses im Wiener MuseumsQuartier.

Der Autor und sein jüngster Gedichtband
Der Autor und sein jüngster Gedichtband

Erst Buchhalter, jetzt künftiger Kindergärtner

Seit vier Jahren ist er anerkannter Asylwerber, hatte bald nach seiner Ankunft einen WiFi-Kurs für Buchhaltung absolviert. „Das kannte ich ja schon und ich wollte möglichst schnell arbeiten und mein eigenes Geld verdienen.“ Rund vier Jahre arbeitete er als Buchhalter. „Das war mir aber irgendwann zu langweilig und deswegen mach ich jetzt die Ausbildung zum Elementarpädagogen an der BAfEP (BundesAnstalt für Elementarpädagogik) im 21. Bezirk von Wien (Floridsdorf). Ich wollte was Sinnhaftes machen. Diese Arbeit ist sehr wichtig – für die Kinder und die Gesellschaft. Und ich kann ganz gut umgehen mit Kindern. Die ersten Praxistage haben mir auch sehr viel gegeben und noch dazu Spaß gemacht. Du kriegst von den Kindern so viel zurück – Freude, Lachen … Ab dem nächsten Semester darf ich dann fast drei Tage in der Woche in einem Kindergarten arbeiten.“

Daneben schrieb er weiter – an seinem umfassenden Roman, der dennoch in poetischer Form verfasst, (fast) fertig ist. Von dem erzählte er schon im ersten kurz erwähnten Interview – damals noch für den Kinder-KURIER – siehe Link hier unten.

Interview und Porträt des Autors anlässslich eines Preises für ein Gedicht – damals im Kinder-KURIER

Schlimmes so am besten zu verarbeiten

Zurück zu den jetzt veröffentlichten 20 Gedichten: „Ehrlich, zuerst hatte ich die Geschichte, diesen ganzen Bogen, dann hab ich neue Gedichte geschrieben, aber auch ältere, die ich schon hatte, verändert. Dann alle Gedichte nebeneinander gelegt, hin und her geschoben, so dass sie nun die jetzige Form bekommen haben. Der König ist übrigens nur ein Teil einer Persönlichkeit und der Gesandte die zweite Hälfte. Es schaut am Anfang zwar religiös aus, ist aber nicht so, wenigstens nicht so gemeint. Natürlich hat einiges davon mit mir zu tun. Das gilt aber doch wohl für jede Autorin und jeden Autor, dass es eine persönliche Verbindung zu den eigenen Texten gibt. Aber ich selber bin recht glücklich, baue aber immer wieder auch Erlebnisse von Freundinnen und Freunden ein. Außerdem passieren in der Welt um uns herum so viele schlimme und schlechte Sachen und ich finde, die für mich beste Art damit umzugehen, ist darüber zu schreiben.“

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Homepage des Autors

Titelseite des Gedichtbandes
Titelseite des Gedichtbandes „König“ von Ibrahim Rahimi
Doppelseite aus dem Bilderbuch "Tut nimmer weh!"

„… kommt ein Reh, tut nimmer weh.“

„Der Hase frisst Klee,
die Tante trinkt Tee,
im Winter fällt Schnee;
und bald
sehr bald
tut das Knie nimmer weh.“

Einerseits heilen solche Reime nicht ganz wirklich Schmerzen. Andererseits aber doch. Auf Umwegen. Sie lenken die Aufmerksamkeit vom akuten Schmerz weg, entlocken das eine oder andere Schmunzeln. Vielleicht sogar Lachen. Und sie bringen vor allem Zuwendung zum verletzten Kind.

Zumindest sind die Reime von Gerda Anger-Schmidt – und die bunten, oft noch lustigeren, Bilder von Renate Habinger – im Buch „Tut nimmer weh!“ vor allem für Kinder gedacht. Und für Erwachsene, die sie vielleicht vorlesen. Oder das eine oder andere Gedicht auch auswendig gelernt bei passender Gelegenheit – hoffentlich kommen dennoch nicht allzu viele vor – aufsagen (können). 

Das Buch ist erstmals schon vor mehr als 30 Jahren (damals im Verlag St. Gabriel, Mödling) erschienen, mehr erhältlich gewesen und nun – im Oktober 2022 – neu gestaltet veröffentlicht worden. 

Manche Reime passen nicht mehr ganz so – das mit dem Schnee im Winter gilt in vielen Regionen Österreichs (fast) nicht, andere wären vielleicht zu überdenken – wie im Gedicht „Konrad“ der von Claudia einen Kuss fast erzwingen will. Aber insgesamt versammelt das Buch amüsante kurze und längere Gedichte, die – wenn schon nicht heilen, so doch trösten wie es im Untertitel auch heißt – können. Und gleich das erste erstreckt sich sogar über zwei Doppelseiten – mit Hasen, Ziegen, Kröten, Stieren, Katzen und neben einigen Vögeln kommt sogar noch ein Schwein vor.

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Titelseite des Bilderbuchs
Titelseite des Bilderbuchs „Tut nimmer weh!“