Über einige Reden von Finalist:innen des mehrsprachigen Redebewerbs „Sag’s Multi!“ und Interviews mit einigen der Redner:innen.
Dass Lernen und Schulbesuch ein Privileg in dieser Welt ist, wie aber Schule auch hierzulande besser, weniger diskriminierend funktionieren sollte ebenso wie engagierte Plädoyers für einen anderen Umgang mit der Umwelt sowie Mitmenschen – vielfältig wie die Sprachen waren auch die Themen, die 172 Jugendliche zwischen 11 und 20 Jahren in den Finalrunden beim 14. Durchgang des mehrsprachigen Redewettbewerbs „Sag’s Multi!“ dem Publikum zu Gehör brachten. Kürzlich wurden diese Finalrunden abgeschlossen – im Wiener Funkhaus, zuvor in mehreren Landesstudios bzw. in Niederösterreich sogar im Landtags-Sitzungssaal. In den Bewerb waren im Herbst 406 Schüler:innen gestartet, die 39 verschiedene Sprachen mitgebracht hatten und diese jeweils mit Deutsch kombinierten. Seit Beginn von „Sag’s Multi!“ im Schuljahr 2009/10 – lange Jahre vom Verein Wirtschaft für Integration organisiert durchgeführt von EduCult, seit drei Jahren ist der ORF Träger des Bewerbs – waren bisher 89 Sprachen zu hören bzw. sehen, denn mehrmals haben auch Jugendliche mit österreichischer Gebärden- und deutscher Lautsprache teilgenommen.
Vielfalt macht uns stärker war eines der Unterthemen des diesjährigen Bewerbs, Überthema: „Dafür will ich stark sein“. 406 Jugendliche zwischen 11 und 20 Jahren waren im Herbst in den Bewerb gestartet, bei dem sie jeweils in Deutsch und einer anderen Sprache ihre Reden halten. Die andere kann sowohl eine Erst- als auch eine erlernte Fremdsprache sein. Auch viele jener, die eine andere Familiensprache mitbringen, wählen einer erlernte neue Sprache. Und andere müssen sich oft für eine ihrer Sprachen, mit denen sie aufgewachsen sind, entscheiden.
Wobei so eine Entscheidung nicht immer ganz freiwillig erfolgt. So schilderte Deborah Eze (WMS Kauergasse (Wien 15, Rudolfsheim-Fünfhaus), in Wien aufgewachsen, im Interview mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… „Edo war meine Muttersprache, die ich als kleines Kind fließend sprechen konnte, aber wenn meine Mutter und ich die in der Öffentlichkeit verwendet haben, wurden wir immer sehr blöd angeschaut. Ich hab begonnen mich für meine Sprache (eine der größeren der mehr als 200 Sprachen Nigerias, Westafrika) zu schämen und hab dann nur mehr Deutsch und Englisch gesprochen. Außerdem werde ich sehr, sehr oft als Ausländerin angesprochen, angesehen, obwohl ich eben hier geboren und aufgewachsen bin. Erst jetzt in der WMS (Wiener Mittelschule) Kauergasse habe ich eher das Gefühl dazuzugehören.“
Weil sie sehr oft aber als Schwarze Jugendliche das gegenteilige Gefühl vermittelt bekommt, sagte sie in ihrer Rede – auf Deutsch und Englisch „Obwohl Nigeria politisch und gesellschaftlich nicht das fortschrittlichste Land ist, fühle ich mich in Nigeria wohl. Meine mentale Gesundheit ist in bester Verfassung, wenn ich dort bin. Von anderen umgeben zu sein, die mich lieben und gut behandeln, unabhängig von meinem Alter.“
Sie würde, sagte sie in ihrer Rede, schön langsam müde werden, gegen rassistische Vorurteile und Angriffe zu argumentieren und eher aufzugeben – woraufhin sie mit starkem Beifall und in etlichen Gesprächen danach bestärkt wurde, nicht aufzugeben, U ru ẹse/danke, liebe Deborah Eze!
Ihre Klasse, die 4b, ist sozusagen eine der vielen international schools in Wien, in ihr bringen die Jugendlichen neben Deutsch noch die Sprachen Englisch, Ukrainisch, Russisch, Türkisch, Kurdisch, Rumänisch, Spanisch, Kroatisch, Serbisch, Polnisch mit. Wobei manche es dabei nicht belassen, so lernt Atimeea Daria wie sie dem Journalisten in einer Pause erzählt, „seit ein paar Jahren Koreanisch, weil ich gern K-Dramas in Originalsprache mit englischen Untertiteln anschaue. Aber ich hab früher auch Englisch durch viele Serien und Filme im Original gelernt“. Sie allerdings trat nicht bei „Sag’s Multi!“ an, sondern war „nur“ mit der ganzen Klasse gekommen, um die bereits genannte Mitschülerin Deborah Eze und eine weitere moralisch zu unterstützen, die den Mut gefasst hatten, ihre Rede vor analogem Live-Publikum im Radiokulturhaus und Online-Zuseher:innen im Livestream zu halten.
Bei der weiteren handelt es sich um Zehra Başdoğan, die auf Türkisch – und natürlich – Deutsch sprach und gemeinsam mit ihrer Klassenkollegin Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… ein Interview gab. Ihr Türkisch konnte sie, so erzählt sie im Gespräch, „auch stark verbessern, seit wir in der Schule eine unverbindliche Übung in dieser Sprache haben“. Für ihre Rede hatte sie sich das Unterthema „So macht Schule stark“ gewählt und sagte unter anderem: „Diese Schule hat mir gezeigt wie wichtig es, für mein weiteres Leben ist, an sich selbst zu glauben und seine eigenen Talente und Fähigkeiten zu kennen. In mir wurde Neugierde geweckt und damit die Freude am Lernen. … Es ist wichtig, dass in der Schule die Möglichkeit geboten wird, dass Schülerinnen und Schüler sich aktiv am Lernprozess beteiligen können. Nur wenn wir engagiert und motiviert sind, können wir unsere Potenziale besser entfalten und unsere Fähigkeiten stärker entwickeln.“
Bereits zum zweiten Mal trat Julia Shoppmeier aus dem Döblinger Gymnasium in der Wiener Gymnasiumstraße an – mit Ungarisch und natürlich Deutsch, das muss aber jetzt in der Folge nicht jedes Mal noch dazugeschrieben werden 😉 Auch sie widmete sich der Schule. „Ich schätze die Möglichkeit, die Schule besuchen zu dürfen. Krieg, Diktatur, Armut, Hunger oder dass ich als Kind arbeiten müsste, verhindern nicht, dass ich in die Schule gehe.“ Aber sie schilderte auch so manch negatives Erlebnis in der Schule – von der per eMail erhaltenen Absage ihres Referats – am selben Tag um 6.30 Uhr früh etwa. Oder weniger motivierten Lehrpersonen. Und wünschte sich: „Ich möchte, dass die Lehrkräfte mich informiert, motiviert und offen machen. Ich möchte erreichbare Ziele genannt bekommen. Ich möchte, dass die Chancenlosen eine oder mehrere Chancen bekommen. Dass die Talentierten entdeckt und betreut werden. Dass die Engagierten gelobt werden.“
Aber die Schülerin der 4b der genannten AHS betrieb keinesfalls beliebtes Lehrer:innen-Bashing, sondern sagte auch: „Ich merke, dass die Gesellschaft den Beruf Lehrer teilweise nicht besonders cool findet. Andere Werte scheinen wichtiger… Ich bitte auch alle Lehrerinnen und Lehrer, zu unserer Verstärkung, dass sie es wagen, cool zu sein. Weil eine starke Schule kann nur auf starke Lehrkräfte gebaut werden. Und nur eine starke Schule kann uns Schüler und Schülerinnen so stärken, wie wir es benötigen.
Kinder I Jugend I Kultur I und mehr … konnte in diesem Jahr nur einige Redner:innen lang bei „Sag’s Multi!“ live zuhören. Hier sind sie – in Bild und Kürzest-Auszügen aus ihren Reden:
Adrienne Elbeshausen aus der Theresianischen Akademie (Wien 4, Wieden) begann ihre Rede auf Englisch als erlernter Fremdsprache fast in der Art eines Märchens: „Once upon a time there was a blue planet. …“, um dann über „diese lustig aussehenden Kreaturen“ zu sprechen, die wir Menschen sind. „Wir sind der unachtsame Konsument eines Medikaments, der die Packungsbeilage nicht richtig gelesen hat. Risiken und Nebenwirkungen unserer Kreativität werden uns oft erst viel zu spät bewusst. Denken Sie an Sprengstoff, denken Sie an Waldrodung, denken Sie an Atomkraftwerke. Viele unserer Erfindungen führen zu Veränderungen, die wir nie wieder rückgängig machen können.“
Damaris Benta, 14 und aus der Modularen Mittelstufe Aspern (Wien 22, Donaustadt) wählte „Frieden – mehr als Sehnsucht nach Sicherheit?“ über das sie auf Rumänisch sprach und heftig begann: „Es gibt Krieg in Österreich – jeden Tag. Kriege finden nicht nur auf der Weltbühne statt, sondern auch in unserem zu Hause. Auch in einem friedlichen Land wie Österreich. Wisst ihr eigentlich wie viele Kinder von Gewalt in der Familie betroffen sind? Jedes 10. Kind in Österreich!“, um dann ein konkretes Beispiel einer Freundin zu schildern, das (nicht nur ihr) sehr nahe ging.
Nina Isailović vom Schulschiff, der AHS Bertha von Suttner in Wien-Floridsdorf an der Donauinsel widmete sich in ihrer Rede auf Serbisch „Erinnerungen – ohne Gestern kein Morgen“ um eingangs eigene, persönliche Erinnerungen zu schildern, dabei aber nicht stehen zu bleiben.
„Jeder und jede von uns ist von Erinnerungen geprägt. Wir treffen viele Entscheidungen, basierend auf unseren Erfahrungen. Unsere Vergangenheit belehrt uns. Einerseits können wir versuchen unsere Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen, andererseits hüten wir unsere guten Erinnerungen und lassen sie dank Traditionen weiterleben. … Oft ist zu hören: Lebt nicht in der Vergangenheit. Dem stimme ich zwar zu. Aber ohne Erinnerungen gibt es auch keine Zukunft. …
Zukunft ist nicht etwas, was ohne uns entsteht. Wir sind die Zukunft und wir werden sie nach unseren Vorstellungen gestalten. Wir sind Erfahrungen und Erinnerungen. Wir wissen insgeheim, was wir wollen und was nicht.“
Teona Popa (GRG Rosasgasse, Wien 12, Meidling) begann den deutschsprachigen Part ihrer Rede (Rumänisch) mit „Bildung ist wichtig!“, das sagen uns unsere Eltern. Natürlich wollen dem nicht alle Kinder zustimmen, denn sie wissen nicht, was das Leben für sie bereithält. … Die Welt ist groß und sie entspricht genau dem Gegenteil davon, wie es sich Kinder in jungen Jahren vorstellen. In meinem Fall war das genauso. Ich konnte es kaum erwarten, erwachsen zu werden und endlich arbeiten zu gehen. Ich wollte nicht jeden Tag zur Schule gehen, weil ich dachte, dass es viel leichter wäre zu arbeiten als zu lernen. … Wenn man arbeitet, hat man nicht nur den Stress der Arbeit, sondern das Leben wird ebenso stressiger. Rechnungen zahlen, genügend Geld verdienen, wenig Freizeit und sehr viel zu tun, sind typische Merkmale eines erwachsenen Menschen. Da bleibe ich lieber in der Schule und bereite mich auf mein Erwachsenenleben vor.
… Bildung ist jedoch nicht nur für unsere Zukunft wichtig. Für Anne Frank war Bildung eine Ablenkung. Sie hat durch Bildung sehr viel überwinden können, da sie während sie sich im zweiten Weltkrieg vor den Nazis versteckte, mit dem Lernen beschäftigt war. Damals war ihre Situation nahezu unvorstellbar und das Lesen von Büchern gab ihr Stärke. Schulen spielen eine entscheidende Rolle dabei, Kinder zu stärken, um sie auf ihre Zukunft, auf das Leben als Erwachsene vorzubereiten. Das Bildungssystem ermöglicht ihnen die Entwicklung wertvoller Fähigkeiten und die Entdeckung ihrer Talente.
… Ich bin also stark, weil ich meine eigene Meinung bilden kann. Bildung ist jedoch nicht für alle gleich. Manche Kinder haben keine Chance auf Bildung, weil sie es sich nicht leisten können. Andere haben kein Recht auf Bildung, weil in einigen Ländern Kinderrechte in Füßen getreten werden.
Tris Karner (GRG 21 Bertha v. Suttner) sprach auf Englisch über „Vielfalt macht uns stark“: „Jeder Mensch hat etwas, was ihn einzigartig macht. Jede Person unterscheidet sich von der anderen, auch wenn es nur im kleinsten Sinne ist. Vielfalt kann verschiedene Religionen, Hautfarben, Sexualitäten und so viel mehr bedeuten. Ich jedoch fokussiere mich heute auf die Vielfalt von queeren Personen überall auf der Welt, da ich der Meinung bin, dass wir alle, die in einem freien Land leben, für andere kämpfen sollten, die sich nicht verteidigen können. Das Thema Vielfalt im Bereich von Sexualität und Gender ist mir sehr wichtig, da ich selber queer und trans bin. Ich persönlich hatte glücklicherweise noch keine schlechten Erfahrungen mit dem Thema Transgender. In der Schule werde ich Tris genannt, meine Pronomen werden respektiert und ich werde gleich wie alle meine MitschülerInnen behandelt. Doch nicht jeder hat diese Privilegien. Viele andere Trans-Personen werden täglich diskriminiert, ihre Rechte werden ihnen weggenommen.“
Genau deswegen widmete Tris Karner sich diesem Thema und berichtete von zahlreichen diskriminierenden Gesetzesvorhaben in US-Bundesstaaten, aber auch in Österreichs Nachbarland Ungarn, immerhin Mitglied der EU.
„Wir können durch Vielfalt lernen und akzeptieren, dass andere eben anders sind als einer selbst. Und in diesem Sinne macht Vielfalt alle Menschen viel stärker, als wenn alle gegeneinander sind. Nur müssen alle beginnen, sich gegenseitig zu akzeptieren, denn das ist der erste Schritt auf dem Weg der Besserung. Ohne Akzeptanz sind wir und werden wir nie gemeinsam stark sein.“
„Kein Wohlfühl-, sondern ein Mutmacherprojekt“ sei „Sag’s Multi“, meinte in einer der Pausen am vorletzten Finaltag der Erfinder des Bewerbs und Jury-Vorsitzende Peter Wesely. Mut beweisen die jugendlichen Redner:innen – und sie machen Tausenden anderen Mut, ebenfalls ihre Stimmen zu erheben.
In diesem Schuljahr findet der mehrsprachige Redewettbewerb „Sag’s Multi!“ zum 14. Mal statt. Dafür wurde anfangs der Verein Wirtschaft für Integration gegründet. Seit drei Jahren ist der ORF Träger des Bewerbs.
Die Finalrunden werden immer live gestreamt – die Videos stehen – länger als die üblichen sieben Tage in der TVthek des ORF.
Links zu allen Streams zum Nachschauen finden sich auf der Homepage hier
tvthek.orf -> SAGS-MULTI, Niederoesterreich
tvthek.orf -> SAGS-MULTI, Burgenland
tvthek.orf -> SAGS-MULTI, Steiermark
tvthek.orf -> SAGS-MULTI, Salzburg
tvthek.orf -> SAGS-MULTI, Tirol
tvthek.orf -> SAGS-MULTI, Wien I
tvthek.orf -> SAGS-MULTI, Wien II
Zu den ORF-Beiträgen geht es hier
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