Ein Soft-Start zieht das Publikum, das an den vier Wänden rund um das jüngste Mash-up von „das.bernhard.ensemble sitzen wird, schon beim Betreten der White Box im Wiener Off-Theater ins Geschehen. Schräge Figuren wandern, kriechen, umher, nähern sich den Zuschauer:innen, werden von einem Kollegen davon aber immer wieder abgehalten. Seit Jahren verbindet das Ensemble – meist nach einer Idee von Mastermind Ernst Kurt Weigel – einen Theater- mit einem Filmklassiker zu einer höchst intensiven theatralen Performance, selten auch mit Video-Einblendungen. Wie aber meist liegt auch dieses Mal die alleine Konzentration auf analoges, Live-Schauspiel mit starkem körperlichem Einsatz.
„Medea“, dritter Teil der Trilogie „Das golden Vlies“ von Franz Grillparzer stand Pate für den Theater-Ausgangspunkt. Meist bekannt als Kinder-Mörderin, liegt in manchen Versionen der Schwerpunkt der Interpretationen auf dem Mobbing gegen die Zugewanderte. Oder auch darauf, dass sie sich an Iason rächen will, dem zuliebe sie das Goldene Vlies klaut und mit ihm und den Argonauten aus Kolchis abhaut, der sie dann aber zugunsten der Tochter von König Kreos verlässt.
Hier war’s was anderes. „Bei der Beschäftigung mit dem Medea-Stoff hatte ich sofort diese Roadmovie-Assoziation des mordenden Liebespaares. „Bonnie und Clyde“, „Wild at Heart“, „True Romance“ waren sofort präsent und natürlich auch NBK“, schreibt Weigel im Programmheft. Mit NBK meint er „Natural Born Killers“, einen Film von Oliver Stone nach einem Drehbuch von Quentin Tarantino. In einem Lokal im US-Bundesstaat New Mexico richtet Mickey ein Gemetzel an, nachdem ein Gast seine Freundin Mallory belästigt hat. Das Ungewöhnliche: Am unteren Bildrand ist eine Pistole eingeblendet – wie bei einem Ego-Shooter-Computerspiel – und das 1994.
Im Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… erzählt Weigel noch, dass er sich noch etliche andere Medea-Versionen reingezogen habe. Aber es blieb bei der Grundstimmung: Vermixung der Zeit, in der das Paar gemeinsam unterwegs ist mit jener der Flucht des eben genannten Paares aus dem Film.
Auf dieser Flucht bringen M & M Dutzende weitere Menschen um. In Rückblenden stellt sich obendrein heraus, dass Mallorys Vater die Tochter unzählige Male sexuell ausbeutet, die Mutter schaut weg… Neben den Morden spielt in dem Film nicht zuletzt die mediale Sensationsberichterstattung über die Taten einer- und die polizeiliche Verfolgung andererseits eine große Rolle.
Und das mixte „das.bernhard.ensmeble“ zu einer heftigen, zweistündigen, immer wieder aber auch satirisch distanzierten/distanzierenden Performance zusammen. Die Originalnamen aus dem Film und dem Stück werden verändert – Mae (umwerfend: Rinu Juniku) und Jay (heftig: Andrzej Jaślikowski) statt Medea und Iason etwa – und alles als Theaterprojekt in einem Gefängnis angesiedelt, dessen Direktor Kajetan Dick sozusagen auch die „Show“ auf der Bühne dirigiert.
Als besessener und skurpelloser Kommissar Scagnetti (der auch im genannten Film so heißt) agiert Matthias Böhm, der auch den ekelerregenden, gewalttätigen Vater spielt. Als völlig schräge Figur hoppelt Yvonne Brandstetter als Hase durch die Szenen. Dazu gesellen sich noch die – wie alle ja ständig von allen Seiten beobachtet werdenden und damit immer präsenten Spieler:innen Anja Štruc (Gefängnis-Seelsorgerin Kreusa bzw. Geisel des mörderischen Duos sowie Jula Zangger als Schamanin und u.a. wegschauende Mutter).
Für Bühne mit so manchen absurd erscheinenden Utensilien sowie Kostüme zeichnete Julia Trybula, für die ausgefeilte Choreografie- wenn Menschen von allen Seiten zuschauen – sorgte Leonie Wahl. Wie immer schuf Bernhard Fleischmann Kompositionen und die den Szenen angepasste Musik. Und: Ernst Kurt Weigel sitzt als Regisseur erstmals bei einem Mash-up von „das.bernhard.ensemble“ am Spielfeldrand statt mitten im Geschehen zu agieren.
Als Spielzeugfiguren verkleidete Schauspieler:innen liegen, sitzen, kugeln sozusagen auf dem Boden herum, eine steht. Sie spielen den lebendig werdenden Inhalt einer Blechkiste der Jugendlichen Sari (Dinda Daniar Darussalam). Diese hält die Box auf ihrem Schoß, sinniert und fasst den Entschluss – im heftigen Streit mit ihrer Mutter Nastja (zweisprachig und recht resolut: Vanda Sokolović) -: Ich halt’s in diesem Land voll Armut und Krieg nimmer aus, ich geh.
Sie habe über Internet einen Mann kennengelernt, der ihr versprochen hat, wenn sie zu ihm in sein Land komme, dann könne sie dort arbeiten, gutes Geld verdienen und alles haben. Und sie werde der Mutter auch regelmäßig Geld schicken.
Wobei das alles in „S[ch]till here“ wie das jüngste Stück von „Die Fremden“ heißt, „nur“ gespielte Annahmen sind. Denn Dinda Daniar Darussalam sagt in ihren ersten Worten: „Sagen wir, ich bin Sari…“. Solche Passagen werden sich später – von anderen gesagt – im Laufe der nicht ganz zwei Stunden (eine Pause) wiederholen. Damit heben die elf Schauspieler:innen – allesamt Laien, viele schon seit Jahrzehnten bei der Theatergruppe „Die Fremden“ (1992 gegründet) – die Geschichte einerseits irgendwie ins Fiktive. Und das obwohl viele der Szenen auf Erlebnissen der Mitwirkenden der Theatergruppe basieren – nur die heftigste Einzelheit, die hier aber nicht gespoilert werden soll, musste niemand am eigenen Leib erleben. Andererseits deutet dieses „sagen wir, ich bin…“ auch an, was ganz am Ende als Schlusswort nach dem Schauspiel dem Publikum mit auf den Weg gegeben wird: Saris Schicksal ist nur eines von Millionen, das rechtlose, nicht „gesehene“ Arbeitsmigrant:innen, erleiden.
Denn darum dreht sich das Leben im neuen Land mit ach so viel versprochenen Möglichkeiten: Ein Hotel, das demnächst (wieder) aufsperren soll, braucht billige Mitarbeiter:innen. Die ordert sie über eine Agentur. Und dort werden den angeheuerten sehr arbeitswilligen Arbeitsmigrant:innen gleich einmal die Papiere weggenommen. Das Hotel zahlt die Beschäftigten nicht direkt, sondern an die Agentur, die einen Gutteil des Geldes einbehält und lediglich Taschengeld auszahlt…
Soweit die Grundgeschichte. Zwischen – manche im Publikum sogar zu Tränen – rührenden Momenten und heiter-ironischen bis herzhaft lustigen Momenten nehmen die insgesamt elf Schauspieler:innen (Regie und Leitung wie immer Dagmar Ransmayr) das Publikum in eine (fast) unbekannte arge Schattenwelt mit. Mit wenigen, wandelbaren Requisiten – hauptsächlich kleine und größere Kübel – zaubert das Ensemble eine Hotellobby ebenso wie ein altes Auto (Klappstühle und vier liegende Kübel als Räder). Diese „Fahrt“ mit Ali (Besmellah Jafari), der keinen Führerschein, aber wenigstens den Pass von wem anderen hat, und Nastja, die keinen Pass hat – aber immerhin muss eine Grenze überwunden wird – ist sehr skurril und gehört zu jenen mit den meisten Lachern.
Flache Blechschachteln dienen als Smartphones oder Tablets, was mehr Charme versprüht, als würden sie mit echten oder funktionslosen Handy-Dummys (wie häufig auf Bühnen) spielen.
Wunderbar die mehrfache Verwandlung jener fünf Schauspieler:innen, die einerseits in die Rollen von Spielzeugfiguren schlüpfen – Tanzschwein (Sofie Leplae), Hexe (Katerina Rumenov Jost), Katze (Yasmin Navid), Bär (Armen Abisoghomyan), Einarmiger (Markus Payer), Roboter (Garegin Gamazyan) – und andererseits das Hotel bevölkern: Als windiger Chef, der zwielichtige Geschäfte macht, als Rezeptionist, der sich für alles andere zu schade ist, als überforderte Managerin, als Aufseherin über die Putzkräfte und ihre aufmüpfige Tochter Mona (Yasmin Navid) sowie als Haustechniker, der zwar vieles kann, dem aber so ziemlich alles „wurscht“ ist, er hat ja nur mehr kurz bis zur Pensionierung.
Das Duo Mme Olivia vs Mona (herzhaft aufmüpfig: Yasmin Navid) ist fast eine Parallel zu Nastja und Sari.
Ein heftig-berührender Abend, der dennoch Raum zum Verschnaufen und immer wieder auch Lachen lässt, vor allem aber ein kaum thematisiertes Segment von Schattenwirtschaft mit sklavenähnlichen Zuständen beleuchtet. Gekonnt und leidenschaftlich gespielt und – was auf Theaterbühnen insgesamt noch viel zu wenig zu hören ist – auch mehrsprachig. Immer wieder bringen die Schauspieler:innen Sätze, manche auch viele, in jenen Sprachen, die sie neben Deutsch beherrschen, auch ein, u.a. BKS (Bosnisch / Kroatisch /Serbisch), Farsi bis zu Wiener Dialekt etwa in Arik Brauers „hinter meiner, vurder meiner siech i nix…“
Verdienter heftiger, langanhaltender Applaus als Belohnung für die zuvor erlebten 1 ¼ Stunden „Land ohne Land“. Mit diesem Stück eröffnete das nunmehr dritte „E Bistarde/ Vergiss mein nicht“-Festival. Theater und Musik, von Roma-Künstler:innen geschaffen, ist – diesmal im Dschungel Wien – noch bis zum 9. November 2023 zu erleben.
Die Internationalität dieser Volksgruppen brachte nicht zuletzt der sich an die erwähnte Stück-Premiere – Besprechung in einem eigenen Link am Ende dieses Beitrages – anschließende mitreißende musikalische „Wander“-Auftritt des Quartetts von „Trubači Austrija“ zum Ausdruck. Erst im Theater-Foyer und dann im Hof spielten die Musiker auf drei Blasinstrumenten und einer Trommel so auf, dass viele richtiggehend zum Mittanzen mitgerissen wurden. Die Bandbreite reichte unter anderem von der Roma-Hymne „Djelem Djelem“ über das hebräisch/jüdische Volkslied „Hava nagila“ bis zum besonders durch italienische Partisan:innen im antifaschistischen Widerstand berühmt gewordene „Bella Ciao“ – die allesamt, wie auch die anderen Musikstücke Freude am Leben ausstrahlen.
Kosa und ihr jüngerer Bruder Aca leben seit mehr als 30 Jahren in Österreich, suchen um die Staatsbürgerschaft an, aus Reisetaschen packen sie Ordner voller Dokumente aus, überreichen diese der grummelnden, grantelnden, abwehrend und abwertenden Beamtin. Obwohl sie keinen Blick hineinwirft, zweifelt sie gleich einmal an, ob das wirklich alles vollständig ist. Erteilt Anweisungen, dass sie sich eine Kopierkarte in Stock x holen, diese in y aufladen und obendrein Summe z zu zahlen hätten.
Im Publikum gequältes, lautstarkes Lachen jener Zuschauer:innen, die offenbar eigene Erfahrungen mit der MA35 haben.
Doch bevor die Geschwister – Kosa (Valentina Eminova) und Aca (Sebastian Malfer) endgültig in den Besitz eines österreichischen Passes kommen können, müssen sie die Entlassung aus der serbischen Staatsbürgerschaft erwirken. Am leichtesten, so scheint es, wenn sie’s vor Ort selber tun. Wo sie auf einer zwar viel gestyltere aber nichts desto trotz ebenso ignorante Beamtin treffen.
Soweit die Rahmenhandlung von „Land ohne Land“, mit dem am Totengedenktag (1. November) das dritte Internationales Roma-Festival „E bistarde 2023 | Vergiss mein nicht“ im Dschungel Wien eröffnet worden ist. Simonida Selimović, gemeinsam mit ihrer Schwester Sandra, Gründerin dieser Veranstaltungsreihe mit vor allem Theater und Konzerten, hat das Eröffnungsstück geschrieben und auch Regie geführt.
Zu den sarkastisch, bitterbösen Amts-Szenen (Beamtin: Franziska Adensamer, die auch Svetlana, die Cousine der beiden spielt) gesellt sich noch ein Rückgriff auf eine der Corona-Phasen. In so manchen Ländern wie Serbien oder Rumänien wurden Angehörige der Volksgruppe der Roma noch mehr als üblich diskriminiert. Sie wurden beschuldigt, Überträger:innen zu sein mit Ausgangsverboten oder Gefängnishaft belegt. Was im Stück die Situation nochmals verkompliziert, können die Geschwister nun nicht einmal zurück nach Österreich wo Svetlana Kosas beide Kinder (Dominic Moldovan und Samuel Rosegger in Video-Einspielungen) betreut.
Valentina Eminova stellt als Kosa immer wieder dieses ganze System nationaler Grenzen und einschränkender Bestimmungen in Frage und bricht daraus aus – mit bunter „Daten“-Brille und -Handschuhen surft sie in eine virtuelle Welt – die schließlich riesengroße auf einen vorgezogenen dünnen Vorhang projiziert wird. Schon davor wurde aus den schauspielenden Figuren hin und wieder Avatare, die sich zu unendlichen Vervielfachungen ausweiteten. Nun läuft die digitale Kosa durch grenzenlose Landschaften, in der immer wieder Bilder, teils auch Videos aufpoppen von Roma-Vorkämpferinnen wie der in Österreich doch recht bekannten Ceija Stojka, die mehrere Konzentrationslager der Nazis überlebte und als eine der allerersten darüber zu malen, schreiben und sprechen begann. Aber auch – bei uns weniger bekannten – aus Rumänien, Schweden, USA…
Diese digitale Landschaft gegen Ende ist aber viel mehr, sie wird als Konzept schon früher im Stück angesprochen: Was wäre, wenn alle Rom:nja, Sinti:zze, Lovara… eine digitale Identität in einer gemeinsamen, grenzenlosen virtuellen Welt hätten, sozusagen einen – wie er mehrmals eingeblendet wird – Roma-Pass, eben ein „Land ohne Land“. Womit sich der Bogen zum Beginn des Stückes schließt. Da wird die bekannteste Suchmaschine eingeblendet und nach dem Online-Kauf eines digitalen Landes gesucht – wobei dabei natürlich Metaverse aufscheint 😉
Das ca. 1 ¼-stündige Stück verbindet äußerst gelungen realsatirisches Schauspiel mit Live-Musik durch die beeindruckende Fagott-Bläserin Stefanny Leandro Aguilar, die mal untermalend, dann wieder zentral aufspielend fast durchgängig Klangteppiche webt mit Spitzen-Auftritten sowie Video-Einspielungen (neben den beiden schon genannten Kinder noch Radica Savić als u.a. Kaffee-Sud lesende serbische Tante) und ins Digitale ausgelagerter Utopie (Visual Art: Joanna Zabielska; Kamera & Cut: Laura Moldovan). Gerade letztere verschafft angesichts der in den vergangenen Jahren und Wochen noch heftigerer aufgeflammter brandgefährlicher nationaler Konflikte ein wenig sehnsüchtige Hoffnung.
Etwa zwölf Millionen Roma leben im europäischen Raum. Auch wenn sie keine homogene Gruppe sind, sondern vielfältige Lebensstile pflegen, werden viele von ihnen sozial nach wie vor ausgegrenzt oder nicht wahrgenommen. Doch „Wir sind da, wir zeigen uns, wir lassen nicht zu, dass man vergisst, dass es eine Geschichte gibt, die uns seit Jahrhunderten verfolgt, und dass wir nichts davon wissen. Wir sind so viele und wir sind so unterschiedlich.“
Das Festival „E Bistadrde/ vergiss mein nicht“ gibt den Rom:nja und Sinti:zze durch Theater und Kultur eine Stimme: „Es ist notwendig, einander, Roma und Nicht-Roma, zu kennen und anzuerkennen, um unsere historischen kulturellen Unterschiede zu versöhnen“, sagt Simonida Selimović-Rosegger, Gründerin des Roma Theatervereins Romano Svato. „Wir haben eine Auswahl an Shows zusammengestellt, die sich um aktuelle Themen und Ästhetiken drehen, die in der Dokumentation der Realität und der Mikrogeschichte verwurzelt sind.“ „E Bistarde“ hat eine klare soziale Botschaft in Bezug auf Bildung, Bewusstsein und Stärkung einer positiven Identität. Ihre kulturelle Vielfalt über und mit Roma arbeitet darauf hin, das Zusammenleben innerhalb der Roma-Gemeinschaften sowie außerhalb zwischen der Nicht-Roma-Mehrheit und den Roma-Gemeinschaften zu harmonisieren.
Übersicht über die weiteren Auftritte in der Info-Box. Und es wird – natürlich – weiter ausführlich hier berichtet.
Bevor hier auf das – oftmals akrobatische – Tanztheaterstück „KINGX & QWEENS“, derzeit noch bis 10. Oktober 2023 sowie an drei Tagen im Juni 2024 zu erleben, eingegangen wird, ausnahmsweise eine Beobachtung des Publikums: Die Tribünen vollbesetzt mit Jugendlichen, die die 1 ¼ Stunden gebannt dabei sind, am Ende sprichwörtlicher (fast) never ending Applaus. Eine Gruppe klatscht sogar noch Minuten nachdem alle anderen – inklusive der Künstler:innen – den Saal 1 (den größten im Dschungel Wien, dem Theaterhaus für vor allem junges Publikum im MuseumsQuartier) verlassen haben.
Die Performance, die Maartje Pasman, Futurelove Sibanda und Joseph Tebandeke, auf die Bühne zaubern, ist magisch. Oftmals unglaubliche Bewegungen am Boden, auf großen blauen Wasser-Kanistern, auf – und mit – Stangen sowie Krücken. Beflügelt von der dafür geschaffenen Musik von Karrar Alsaadi scheint das Trio nicht selten als wäre es auf einer Weltraum-Station, in der die Schwerkraft sozusagen außer Kraft gesetzt ist.
Schweben und Fliegen drängt sich in so manchen Szenen als Bild in den Kopf. Alles ist sozusagen möglich – das steckt irgendwie auch in der – aufs erste vielleicht merkwürdig wirkenden – Schreibweise des Stücktitels, wo das Plural-S der englischen Version von Königin durch ein X und in der Königinnen-Version das U durch ein Doppel-U, also ein W, ersetzt sind. Vielleicht auch mit ein bisschen Anspielung auf Querness. Aber auch an das Bild einer dreizackigen Krone.
Einer Krone, die auch mehrfach in den auf einen blauen Stoff im Hintergrund projizierten Videoanimationen (Luciana Bencivenga) auftaucht und nicht selten fliegt. Und die ebenso wie die auftauchenden Figuren und Objekte Anleihe nimmt bei den Bildern von Jean-Michel Basquiat (1960 bis 1988), einem US-amerikanischen Künstler, der als kleines Kind Stammgast in einem Kunstmuseum (Brooklyn), dreisprachig war und in einer Band spielte und malte – und früh damit Erfolg hatte. Mit 21 Jahren war er – als bis heute jüngster – Künstler bei der weltberühmten documenta. Die Krone setzte Basquiat in seinen Bildern genau nicht Herrscher:innen auf die Häupter, sondern unterschiedlichsten Menschen – gleichsam als Zeichen, dass sie ihr Leben selbst bestimmen.
Genau dieses Gefühl der Selbstermächtigung in allen möglichen und auch (scheinbar) unmöglichen Lagen bringen die drei Tänzer:innen in praktisch jeder der Szenen zum Ausdruck – und auch ein starkes Miteinander. Auf der Projektionswand erscheinen hin und wieder auch Fragen, etwa, ob es auch möglich ist, alleine glücklich zu sein. Das Trio – auch wenn es Szenen gibt, in denen alles andere als Harmonie gespielt und getanzt wird – vermittelt dennoch ein unbedingtes Plädoyer zu sozialer Gemeinschaft.
Neben Basquiat war – zumindest für eine der Anfangs-Szenen – auch ein Bild aus dem Jahr 1889 (!) aus Damaskus (Syrien) eine optische Inspirationsquelle, das Kostümbilnder Kareen Aladhami ins Team von KingX und KWeens mitgebracht hatte. „Samir und Abdullah“ zeigen den gelähmten Kleinwüchsigen, christlichen Samir im Huckepack auf dem Rücken seines blinden muslimischen Freundes Abdullah (Quelle: Pädagogischen Begleitmaterial zur Produktion). Und so tanzt Maarte Pasman mit Joseph Tebandeke (der gemeinsam mit Corinne Eckenstein auch choreografierte und die Show konzipierte) bei ihrem ersten Auftritt auf die Bühne. Da singt Futurelove Sibanda auf einem aus den oben schon genannten Kanistern aufgeschichteten Thron beeindruckend den ganzen Raum erfüllend.
Tebandeke lässt in seinen kraftvollen Tänzen mit Hilfe von Krücken, den besagten Kanistern oder auch seinen Mittänzer:innen weitgehend vergessen, dass ihm diese Hilfsmittel erst viele seiner Bewegungen erlauben (Polio-Infektion in seiner Kindheit). Er schildert übrigens in einer Szene Erlebnisse von Flugreisen aus seiner Heimat Uganda, wo er Teil der „Splash Dance Company, Kampala“ sowie der „Dance Revolution East Africa“ ist, nach Europa. Nicht selten meinen sie bei der Passkontrolle, wenn sie als seinen Beruf Tänzer lesen, er solle ihnen doch dann was vortanzen.
Futurelove Sibanda, Tänzer und Sänger, der seit vielen Jahren hierzulande von unzähligen Produktionen bekannt ist, in Wien lebt und seine ersten Auftritte mit der Gruppe IYASA aus Simbabwe hatte, erzählt in der Szene seiner persönlichen Geschichte u.a. die nach der Suche nach seinem Vater, der sich vor Futureloves Geburt davongemacht hatte, und als er ihn gefunden hatte, erkannte: Der passt nicht in unsere Familie – was er mittels eines Kanister-Turms schauspielerisch darstellte.
Maartje Pasman rührte mit ihrer Erzählung, die sie mit folgenden Sätzen begann: „Wer bin ich in dieser Welt und warum schreie ich nicht?“ Dabei weinte sie bitterlich sozusagen in einen der Kanister. Joseph schnappte sich den über ein Band mit diesem verbundenen zweiten Kanister und lauschte den Erzählungen aufrichtig. Sozusagen ein Mega-Bechertelefon. Doch Pasman schrie und weinte nicht über den aktuellen Zustand der Welt, sondern, dass sie ihre Vorfahr:innen mit deren Wurzeln in Indonesien nicht kennenlernen durfte. Sibanda tanzt herbei, um die tieftraurige Kollegin in die Arme zu schließen und zu halten. Vielleicht die berührendste Szene des Stücks.
Der mitreißende Schluss-Song – und wohl auch der Titel der Performance – sind inspiriert vom Song „Kings & Queens“ (aus dem Album Heaven & Hell/Himmel und Hölle) von Ava Max (2020) – mit einigen wenigen Umdichtungen. So beginnt der Song in der Version der von Corinne Eckenstein neu gegründeten Gruppe Unusual Beings (Ungewöhnliche Wesen) in Kooperation mit der schon genannten Dance Revolution East Africa und dem Dschungel Wien, damit: Wenn alle Könige und Königinnen auf den Thron gesetzt würden…“, während das Original nur davon träumt, dass die Könige ihre Königinnen auf dem Thron hätten…
„Wie schaut’s denn da aus? Wenn das so ist, brauch ich in meinem Zimmer auch nicht mehr aufräumen!“, wundert Mila sich, als sie auf den Dachboden kommt. Eigentlich wollte sie nur nach einer Schnur suchen, um ihren Flugdrachen steigen lassen zu können. Und was ist da? Schachteln, Kisten, Durcheinander. Viel Zeugs. Alles Mögliche, nur nicht die Schnur. Hinter einem schwarzen Vorhang entdeckt sie sogar eine – nie zuvor gesehene – Tür. Und dann fängt die noch an zu sprechen, später singt sie sogar noch.
Was noch viel schräger ist, irgendwie scheint die Tür mit Mila seelenverwandt zu sein: Viel und schnell reden, immer die Klappe offen … Neugierig und quirlig wie das Kindergartenkind ist, öffnet sie natürlich die Tür – und findet jedes Mal etwas ganz anderes dahinter – Wald, Müllhalde, See – samt schwimmendem großen Fisch, den sie vor dem Angelhaken rettet -, einen langweiligen, leeren Raum und dann wieder das Weltall mit leuchtenden Sternen.
Und so wird aus dem ¾-stündigen immer wieder witzigen Stück „Die komische Tür“ (Text: Lukas Schrenk, Musik und Regie: Nils Strunk) mit dem Duo Emilia Rupperti (Mila) und Philip Leonhard Kelz (Türstimme und verschiedene auftretende Figuren vom Fisch über die Vermesserin bis zum Eisverkäufer) im Dschungel Wien ein Ausflug in Fantasiewelten (Bühne: Anna Reichmayr; Kostüme: Anne Buffetrille), wie sie sich viele Kinder ausdenken. Und dabei auch mit Gegenständen ins Gespräch kommen.
Die hier auf dem Dachboden abgestellte „komische“ Tür, weil sie so gar nicht „normal“ ist, bestärkt Mila in der Art wie sie ist. Und gibt ihr obendrein fast poetisch formulierte Tipps – vergleicht die wechselnden, mitunter aufbrausenden Gefühle mit einem Flugdrachen, den sie durchaus steigen und hoch fliegen lassen kann. Aber wenn sie ihn an der Schnur hat, kommt er ihr schließlich nicht zu sehr aus 😉
Zwei Tage bevor in Klagenfurt der Prozess um einen großangelegten Betrug mit Kryptowährung (EX W Wallet) mit acht Angeklagten, 300 Seiten Anklageschrift und rund 40.000 Betrogenen begann, startete im Wiener Theater Drachengasse ein äußerst humorvolles Stück über den allerersten „Pyramiden“-Spiele: „Herr Ponzi sucht das Glück“. Also Fortsetzung der „Glückssträhne“ nach „Beyond Häpiness“ in einem Teil des Semper-Depots und einer Horoskop-Geschichte („Obstacles in our sky“) im Dschungel Wien. Und in der Drachengasse geht’s gleich kommende Woche weiter im zweiten Theaterraum mit „Glückskind“ von Melike Yağız-Baxant, ausgehend von der Basis ihres Textes, der vor zwei Jahren mit einem der Exil-Literaturpreise belohnt worden war.
Den Herren gab es wirklich – unter den Namen Charles Ponzi, aber auch mit den Vornamen Carlo, Carl, zeitweise trat er unter dem Namen Charles P. Bianchi bz. Später als Charles Borelli auf. Geboren im italienischen Parma (1882) wanderte er 1903 in die USA auf, weil – so die Legenden, dort das Geld auf der Straße liege. Angeblich mit lediglich 2 Dollar und 50 Cent angekommen. Zum Tellerwäscher und anderen derartigen Jobs schaffte er es schnell. Das mit dem großen Geld sollte aber noch lange auf sich warten lassen. In der Zwischenzeit landete er – aufgrund eigener oder anderer Betrügereien in Gefängnissen der USA und Kanadas.
1920 dann die große „Stunde“ des Herrn Ponzi. Zunächst wollte er mit den Preisdifferenzen von Antwortscheinen zwischen Europa und den USA ein Geschäft machen, was so nicht klappte.
Bis er auf die Idee kam, dafür Anteilsscheine mit der Aussicht auf hohe Gewinne – Verdoppelung in 90 Tagen – zu verkaufen. Was anfangs funktionierte – wie bei den meisten Pyramidenspielen; in seinem Fall nicht zuletzt, weil Reiche, die ihr Geld nicht so wirklich brauchten, es im System ließen, um höhere und noch höhere Gewinner in der Zukunft zu lukrieren. Kurzfristig wurde Ponzi zum Vielfach-Millionär – bis der Betrug aufflog – und er (wieder einmal) im Gefängnis landete. Um danach zu weiteren Betrügereien anzusetzen, letztlich aber 1949 in der Armenabteilung eines brasilianischen Krankenhauses fast blind un halbseitig gelähmt starb.
Sein Trick wurde so berühmt, dass solche Ketten- zw. Pyramidenspiele teilweise noch heute als Ponzi Scheme bezeichnet werden. Außerdem wurde der Erfinder dank einer gewissen romantischen Verehrung, weil er sozusagen ein wenig umverteilt hatte, zum Mythos.
Stefan Lasko und Roman Blumenschein waren zufällig auf diese Geschichte gestoßen, Lasko begann zu recherchieren, vertiefte sich in die Biographie Carlo Ponzis, fand viele viel weniger bekannten (Neben-)Geschichten. Unter anderem jene darüber, dass er viel Haut spendete, um einer Krankenschwester mit großflächigen Verbrennungen zu helfen. Und nicht zuletzt
über die große Liebe Ponzis zu Rose Gnecco. Die beiden heirateten ungefähr zu der Zeit als die große Ponzi-Masche begann, ließen sich scheiden als er ins Gefängnis kam – und schreiben sich aber bis zu seinem Lebensende (Liebes-)Briefe. Deshalb vepassten sie dem Stück auch einen Untertitel „oder L’amore ai tempi del dollaro“ (Liebe in der Zeit des Dollars).
Lasko schrieb das Stück und führte Regie, Blumenschein schlüpfte in die Rolle des Dandy-haften Charmeurs und Um-den-Finger-Wickler Ponzi. Agnes Hausmann spielt nicht nur Rose, sondern switchts blitzschnell in gut ein Dutzend Rollen – Ponzis Mutter, einen Mafioso, der Mithäftling Ponzis war, Zöllner, und, und, und.
Dritter im Bunde auf der Bühne ist Stefan Galler als Live-Musiker. In der Art eines Bar-Pianisten entlockt er dem „getarnten“ Keyboard unterschiedlichste die jeweilige Stimmung untermalende bis hervorhebende Klänge. Zu Beginn mit Anklängen an die Melodie aus den italienischen Zeichentrickfilmen „Herr Rossi sucht das Glück“. Hin und wieder schlüpft er auch in die eine oder andere Nebenrolle.
Bühnenboden und -wände (Bühne, Dramaturgie: Sebastian Schimböck) sind schon Beginn an mit diversen Kreideschriften verziert, die während des nicht ganz 1 1/2 -stündigen Spiel immer wieder ergänzt bzw. verändert werden – mit so manchem (Wort-)Witz, wenn Blocton im US-Bundesstaat Alabama als alla Parma geschrieben wird. Oder die unterste Stufe für die Publikumstribüne mit „Stairways to heaven“ (Treppe zum Himmel) beschriftet ist.
Die – zwischen den beiden Publikumstribünen des Theaters Drachengasse – ungefähr dreieckige Bühne strahlt das Flair zwischen Bar und Mafiafilm-Hinterzimmern aus – alles mit einer fast durchgängig präsenten Note von Schmäh und einer gewissen Sympathie für den tragischen Helden; oder wie es der Autor beim Mediengespräch vor der Premiere nannte, „vielleicht habe ich mir den Herrn Ponzi auch ein wenig schöngeschrieben“.
Und nicht zuletzt atmet die Aufführung auch eine Ebene mit, dass vielleicht gar nicht das große Geld jenes Glück war, nach dem Ponzi zeitlebens strebte, sondern – siehe Untertitel mit L’amore …
Ein Halbrund – Stadt- oder Schlossmauer in hellblau mit Wolken verziert – mit fünf Toren bildet den Hintergrund der Bühne für „Wind“. Um den drehen sich die 55 Minunten. Die drei Tänzer:innen, die das Stück auch entwickelt haben, – Michèle Rohrbach, Martina Rösler, Ives Thuwis – schlüpfen in die Rolle unterschiedlichster Winde. Mal schweben, dann wieder wirbeln sie über die Bühne, mal miteinander, dann wieder gegeneinander. Poetisch formulieren sie Gedanken, die – hätten Winde Hirn und Sprache – von diesen stammen könnten. Intensiv haben sie sich mit dem „Atem der Erde“ beschäftigt und sich in das ständige Wehen, das den Globus umzieht, hineinversetzt. Und nehmen auf diese gedankliche ebenso wie gefühlte Reise das Publikum mit – mal sanft und leise, dann wieder wild und sozusagen mitreißend.
Formwandler, der ich bin,
Aus dem Stück „Wind“ von makemake produktionen
hellblau unsichtbar.
Die Menschen sehen mich nicht,
aber sie sehen, was ich tue.
Zu diesem jüngsten Stück der (Tanz-)Theater- und Performance-Gruppe makemake produktionen – Text und Dramaturgie: Anita Buchart – gehört, auch wenn er oft am Rande steht oder sitzt gleichermaßen der Livemusiker (Saxofon und Keyboard) und Komponist Lukas Schiemer dazu. Das Quartett erzeugt in der nicht ganz einen Stunde ein Loblied, ja ein „Anhimmeln“ an den Wind, auch wenn uns der manches Mal lästig oder gar in Form von gewaltigen Wirbelstürmen grausam sein kann. So vielfältig Winde auch sein können, immer sind sie selbst unsichtbar, aber ihre (Aus-)Wirkung wird durchaus augenscheinlich. Und Wind vermag die Form von Gegenständen teils beträchtlich zu verändern.
Im Laufe der Performance erzählen die Tänzer:innen auch so manche Mythen, wie sich Menschen die Entstehung von Winden zusammengereimt haben. Aber auch so – im Rückblick betrachtet – eigenartige Vorgangsweisen der Menschheit, wie sie einerseits Wind auszuschalten versucht und andererseits ihn maschinell wieder herstellt, wenn sie Luftzüge braucht. Warum Wäschetrockner, wenn Wäsche auch in den Wind gehängt werden kann, beispielsweise. Oder das Verschwinden von Windmühlen, um seit noch gar nicht allzu langer Zeit wieder Windräder zu errichten, um Energie zu gewinnen…
Die Performance, mit der die neue Spielzeit im Dschungel Wien – in dem Fall für die Jüngsten (ab 5 Jahren) eröffnet wurde, liefert über das Beschriebene hinaus noch wunderbare Bilder – etwa mit luftgefüllten Folien oder 2 Kubikmeter Korkgranulat, das wirkt, als würde der Tanzboden mit Erde bedeckt und es ums Verwurzeln von Bäumen und viel lustvolles Spiel in derselben gehen. Als das Trio diese Granulat verteilte, reif ein Kind im Publikum: „Ich will auch…“
Der Eröffnungs-Samstag brachte in der Folge noch ein Stück ab 15, den U20-ÖSlam (Meisterschaft im Poetry Slam) und nicht zuletzt einen mehr als mitreißenden kurzen Auftritt des PowerDuos EsRap – weitere Artikel folgen hier.
Dass Menschen mit intensivem Blick auf ihr SmartPhone durch die Stadt gehen, hin und wieder stehen bleiben, ohne sich umzuschauen oder auf anderes zu achten als die Töne aus ihren Kopfhörern in welcher Form auch immer, ist nichts Besonderes. Selbst wenn sie in kleineren Gruppen vor einem Gebäude stehen lassen, hin und wieder auf dieses, dann wieder aufs Handy-Display starren – eher alltäglich. Vielleicht hören sie noch Infos zum Gebäude oder darüber, was in diesem alles passiert ist oder sein könnte.
Nun, zwischen 25. August und 3. September 2023 (vorerst) könnten es Teilnehmer:innen von „The Orlando Project“ sein. Du könntest/Sie können auch selber bei diesem (digitalen) künstlerischen Spaziergang mitmachen. Ausgehend von dem Roman „Orlando“ der berühmten britischen Schriftstellerin Virginia Woolf (1882 – 1941) haben Ece Anisoğlu und Julia Pacher – mit einer Reihe weiterer Künstler:innen (siehe Info-Box) ein komplexes digitales Theaterprojekt ausgedacht, konzipiert und organisiert.
An fünf – bewusst ausgewählten – Stationen sind auf den Displays über eine eigens dafür programmierte (noch nicht öffentliche) App digitale Kunstwerke zu sehen und mindestens genauso wichtig neu geschriebene Texte zu hören (in vier der fünf Stationen, in einer auf Englisch). Diese sind von Passagen des Romans an, in dem die Autorin einen breiten historischen Bogen baute. Denn ihr Orlando, der als junger Mann im 16. Jahrhundert zur Zeit von Königin Elisabeth, der Ersten, aufwächst, lebt deutlich mehr als 300 Jahre; zumindest bis ins Erscheinungsjahr des Romans 1928. Da fährt sie – denn irgendwann dazwischen wacht Orlando eines Tages als Frau auf – Automobil.
Diese Verwandlung von Orlando, der/die übrigens Autor/in ist und eine Biographie schreibt – gut 100 Jahre bevor genderfluid verbreitetes Thema wurde, war der inhaltliche Ausgangspunkt für das Künstlerinnen-Duo, das sich bei der gemeinsamen Arbeit im Theater in der Josefstadt kennengelernt hatte – Julia Pacher im Bereich Regie, Ece Anisoğlu als Bühnenbildnerin. „Dass diese Verwandlung schon vor 100 Jahren in der Literatur stattgefunden hat, hat uns beiden sehr gut gefallen“, sagt Erstere im gemeinsamen Gespräch mit Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… Der Schreiber dieser Zeilen durfte bei einer Preview eine Woche vor der Premiere die Tour vom Schwedenplatz bis zum MuseumsQuartier mitmachen, es war – in der Theatersprache – die Hauptprobe 2. Als sie an diesem Projekt zu behirnen begonnen haben, so setzt Ece Anisoğlu fort, „wollten wir von Anfang an ein neues Format, eine neue Ausdrucksform schaffen. Wie können wir mit Hilfe von Augmented Reality, einem Bereich in dem ich schon jahrelang arbeite, Theater neu erzählen.“
Und deswegen lud das Duo in der Folge unterschiedliche Künstler:innen aus verschiedensten Sparten ein – vom Text-Schreiben über Video- und Visual Art (Kunst), Erzählkunst, Tanz und Performance. Ausgehend von jeweils einer der von uns ausgewählten Roman-Passagen „haben wir uns gemeinsam mit den dafür gesuchten Künstler:innen überlegt, wie die Geschichte vielleicht anders ausgedrückt werden könnte in Kombination von Text, Storytelling, Musik, Stadtbild, digitaler Kunst, die vielleicht Türen öffnen zu einer anderen Realität oder Sichtweise.“ (Ece Anisoğlu)
„Wir kommen beide aus dem klassischen Theaterbereich und wollten größer denken, und stärker interdisziplinär denken.“ (Julia Pacher)
„Mit dieser Digitalität können wir einerseits sozusagen den Bühnenraum stark erweitern, aber auch eine andere Wahrnehmungsebene erzeugen. Es war auch für uns selbst interessant zu entdecken, wie wir damit eine Magie oder Illusion erschaffen können. Die Stadt, die Gebäude haben schon eine Geschichte. Wir erzeugen künstlich etwas Zusätzliches.“ (Ece Anisoğlu)
Die beiden hatten die Idee schon vor der Pandemie, letztere erleichterte nur die Realisierung stark, weil es neue, zusätzliche Mittel aus dem Kunst- und Kulturbudget des Bundes für digitale Formate gab. Aus 800 Einreichungen in diesem „Topf“ wurden 26 ausgewählt und gefördert – eines davon ist „The Orlando Project“, weshalb die Tour für Kunst-wanderwillige kostenlos ist.
Die Texte wurden/werden in die Jetztzeit geholt, neu interpretiert, insbesondere aus heutiger Sicht doch längst problematische Sichtweisen von vor 100 Jahren werden zurechtgerückt. Die analoge Wanderung zu realen Orten und Gebäuden aus unterschiedlichen Epochen, erweitert um digitale Kunstwerke, dauert rund 1 ½ Stunden, beginnt mit kleinen virtuellen Kunst-Fenstern auf dem Display in der Griechengasse oberhalb des Schwedenplatzes, führt zu sehr fantasievollen 3D-Bäumen im Schweizerhof des Hofburgareals, zu denen der Text von den Gedichtschreib-Versuchen Orlandos über eine Eiche erzählt.
Station 3 führt zur Rückseite des Weltmuseums. Orlando ist in Konstantinopel, wo eines Nachts die Geschlechtsverwandlung stattfindet. Und sich sozusagen Unisex-Pluderhosen angezogen. Allerdings galt es für sie nun, sich mit der neuen Lage auseinander zu setzen…
Station vier beim Rosengarten im Volksgarten bringt einen Ausflug in ganz andere Welten – begleitet von einer Opernarie und der Abschluss im MuseumsQaurtier an der Seitenfront zum Architekturzentrum eröffnet eine völlig neue Dimension dieser Fassade im von Mariya Peleshko produzierten, von Manuel Biedermann animierten Video einer Performance der Drag Queen, Comedian, Mode-Kunst-Performerin Metmorkid (Mix aus Metamorphose/Verwandlung, Orchidee und Club Kid-Kultur.
Viel mehr sei jetzt aber nicht verraten – höchstens noch: Die Lektüre des Romans kann hilfreich sein, ist aber keinesfalls Voraussetzung, die hier eingangs beschriebene Grundsituation reicht. Und es ist jedenfalls empfehlenswert, sich auf die ohnehin recht kurzen (vier bis sechs Minuten) Videos und Texte einzulassen, um wirklich in diese Welten eintauchen zu können. Aber dann ist es ein spannendes, interessantes anderes Erleben von Verschmelzung von Stadt, Theater, Video, Audio, Performance in einer multimedialen Erzählung.
Wer bin ich? Bin ich vielleicht wie du? Oder gibt’s mich gar doppelt – einmal in klein, aus Schokolade oder als Eiswürfel? Beim künstlerischen Schaffen tauchen Jung- und Jüngst-Studierende an der kinderunikunst „nebenbei“ auch ins Philosophieren ein.
Klingt, pardon liest sich der Anfang vielleicht ein wenig verwirrend, so wird das natürlich hier in diesem Beitrag – mit vielen Fotos und einigen Videos – doch aufgelöst. Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … besuchte nach dem Auftakt der Kinderuni Wien auch das kreative Gegenstück an der Universität für Angewandte Kunst am Oskar-Kokoschka-Platz, wo sich das künstlerische Schaffen der jungen Student:innen in der zweiten Woche konzentrierte. In der Woche davor waren andere Kunst-Unis und -Einrichtungen in Wien und Niederösterreich „Spiel“Orte der kinderunikunst – mit insgesamt rund 3000 Plätzen in 153 Kursen, Workshops, Ateliers plus vier Online-Lehrveranstaltungen.
Nun also zunächst zu den ersten Fragen. „Vorhang auf!“ heißt es die ganze Woche in einem Theater-Workshop. Mira Lobes und Susi Weigels „Das kleine ich bin ich“, das es auch in vier-, drei- und zweisprachigen Versionen gibt (zuletzt im Vorjahr auf Deutsch und Ukrainisch erschienen) bildet die Basis für das Stück, das die Kinder mit den Lehrenden (Anne und Julija) erarbeiten. Aber nur die Grundlage. Nilpferd wollte niemand sein und so dachten sich die Student:innen für diese Begegnung des Wesens das alle Tiere fragt, wer es sein könnte, Schildkröten aus. Statt Kühen gibt es Füchse und aus den Fischen wurden Orcas. UND es gibt zwei Wesen, die gemeinsam das kleine ich bin ich spielen: Frederica und Emma. Erstere erzählt Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… : „ich spiel gern Theater, wegen Corona sind in der Schule die Aufführungen jahrelang ausgefallen, in der vierten Klasse ist dann nicht mehr viel übrig geblieben. Hier hab ich die Chance gehabt, endlich eine Rolle mit viel Text spielen zu können. Das wollten auch andere, am Anfang waren’s sogar drei, aber jetzt spielen die Emma und ich die Hauptfigur, die auf andere Tiere trifft.“
Bei den anderen springen und laufen bei der Probe, die der Reporter sehen, filmen und fotografieren darf, vor allem die Pferde – Nora, Meta, Carla, Grete und Nives – lustvoll im Kreis. Bevor sie den beiden Suchenden sagen, dass diese keine Pferde sind. Am Ende – so viel darf schon verraten werden, weil es ohnehin keine Abschlussveranstaltung mit Präsentationen gibt, rufen alle laut, selbstbewusst und voller Lust, die Erkenntnis: Ich bin ich. Vielleicht sogar in mehreren Sprachen 😉
„Oder gibt’s mich sogar doppelt?“ – diese am Anfang gestellt dritte Frage bezieht sich nicht darauf, dass es zwei kleine Ich bin ichs gibt, sondern auf einen ganz anderen Workshop, einen aus dem Bereich Architektur namens „Gemacht aus Schokolade“. Bence, Janna und Luca scannen die einzelnen kinderunikunst-Student:innen dreidimensional, lassen die Köpfe aus weißem Filament ausdrucken. Und dann arbeiten die Kinder mit kleinen Zangen und Feilen, um die Stützpfeiler des 3D-Drucks weg zu zwicken, -feilen und den kleinen Kopf, dessen Gesichter wirklich gut zu erkennen sind, freizulegen. Ob das nicht ein komisches Gefühl sei, sozusagen am Ebenbild des eigenen Kopfes herumzufeilen, will der Journalist wissen. „Irgendwie fühlt sich der kleine Kopf wie ein Zwilling von mir an und ich hätte nicht gern, dass meine Schwester auf meinem Kopf herumfeilt“, lächelt Johanna Lani und schickt noch gleich die Erklärung nach, dass ihr zweiter Vorname Hawainisch sei und Himmel bedeute. Während sie und Flora ihre Gesichter freikriegen, suchen die Lehrenden mit dem letzten ausgedruckten Kopf, zu wem der kinderunikunst-Studenten der gehört, denn dass es sich um einen Bubenkopf handelt, haben sie schon herausgefunden.
Die kleinen Köpfe sind aber gar nicht das Endprodukt des Workshops, erklärt Bence. In der Mittagspause sägt er von einem langen Rohr lauter kleine Stücke ab und baut sie auf einer Platte auf. Mittlerweile pickt in jeder der kurzen Rohr-Stücke je ein Kopf, er rührt lebensmittelechtes Silikon mit einem „Vernetzer“ an, zwei der Kinder-Studentinnen lösen ihn beim Rühren ab. Die zähe Flüssigkeit wird in die Rohre rund um die 3D-Köpfe gegossen. Und muss über Nacht trocken und fest werden. Dann können die Kinder die Abguss-Formen ihrer Köpfe selber mit flüssiger Schokolade füllen oder zu Hause mit Wasser und ins Tiefkühlfach stellen um Eiswürfel, natürlich nicht-würfel, sondern Eis-Köpfe zu haben – oder was auch immer – jedenfalls mit ihrem eigenen Antlitz 😉
Fast klassisch, aber in ihren eigenen Fantasiewelten malen die Kinder mit Golnaz in „Faszination Illustration“ – mit abstrakten Wellen- oder Kreisformen erschaffen sie ihre Bilderwelten, die in den „warmen“ Farben sind schon fertig und liegen zum Trocknen auf dem Boden, nun sind die kälteren, die Blautöne dran…
Im Raum daneben spielt Farbe auch eine Rolle, aber nur eine unter vielen. Hier sind Mina, Livia, Sebastian und ihre Mitstudent:innen an der „Materialerkundung durch Malerei“. Mina hat vor sich einen aus Gips gegossenen kreisförmigen Hügel, den sie bemalt. Sie freut sich vor allem, „dass wir hier machen können, was uns einfällt und nicht wie in der Schule, was uns gesagt wird und dann schauen alle Bilder gleich aus. Kunst ist doch, wenn jede und jeder was Eigenes schafft!“ Und so werken die einen einfach drauflos und schauen, was dabei rauskommt, andere gehen nach Plan vor. Sebastian, der seine Kreativität auch schon vorher bei seinem kinderunikunst-T-Shirt ausgelebt hat, in dem er einen der Kurzärmel zerschnitten, verflochten und verziert hat, schneidet nun an einem Hasengitter, das er an eine kreisrunde Holzscheibe montiert hat und erklärt: „Das wird ein Vogelhaus. Ich bastle gerne, auch wenn ich finde, dass das nicht meine Stärke ist“, was angesichts seiner Geschicktheit doch verblüfft.
Zwei Tische bohren abwechselnd zwei der Kinder – der eine an einem Holzwürfel, damit er ihn bei seinem aus Holz und Gips gebauten Objekt auf ein wegstehendes Teil draufstecken kann, der andere an einem geringelten Kunststoffschlauch, der aus seiner Holz-Gips-Ablagefläche „wächst“.
Viel gemalt – aber ohne direkt mit Pinsel – wird auch noch in einem weiteren Workshop, in den Kinder I Jugend I Kultur I und mehr… kurz hineinschaut. „Ich brauch doch keinen Pinsel“ läuft übrigens zweisprachig – Deutsch und Ukrainisch – ab. Pinsel werden höchstens dazu verwendet, Farbe aufs Papier zu spritzen, aber ansonsten wird viel mit in Farbe getunkten Fingern oder kräftigen Farbtuben selbst gearbeitet, sodass teils dreidimensionale Farbberge entstehen.
Die Bandbreite der künstlerischen Betätigungsmöglichkeiten bei der kinderunikunst ist riesig. Da dürfen natürlich Computer nicht fehlen. Vor großen Bildschirmen programmieren bei „Kunst mit Code“ die Student:innen meist kleine Spiele mit Scratch. Für die meisten ist diese bausteinartige Programmier-Tool schon aus der Schule bekannt – aus Informatik, digitaler Grundbildung oder wie in der Schule von Oskar und Nils wo es sogar ein Freifach Coding gibt. Nils erzählt dem Reporter: „Ich hab schon 76 Spiele programmiert, aber nur zwei hab ich veröffentlicht – als Nilgra.“ Haibecken und ein Geschicklichkeitsspiel kannst du auf der Scratch-Site finden und spielen.
Während die meisten zu Figuren und Objekten aus dem großen Angebot von Scratch greifen, zeichnet Oskar auf dem Computer Figur sowie Werkzeuge für sein Spiel „Hau den Putin“ selbst. Während des KiJuKU-Lokalaugenscheins arbeitet er gerade in einer stark vergrößerten Ansicht an dunkle- und hellgrauen Pixel für einen Schlaghammer.
Am Computer vor ihm programmiert die viersprachige Jana – Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch – ein Spiel, in dem eine Katze möglichst die durch die Luft fliegenden roten Herzen fangen muss/soll/kann/darf 😉
Wieder zurück zu handfesteren Materialien. Stolz hält Max dem Reporter, der auch fotografiert, seine Halskette in die Kamera, die er hier im Workshop „Aus Alt mach neu“, der jeden Tag unter einem anderen Motto steht, gebastelt hat. An diesem Tag stand Schmuck auf dem Programm. Knöpfe, Kügelchen, Schnüre, Draht und viele andere Materialien standen den Kindern zur Verfügung. Nachdem Max den Bann gebrochen hatte, kommen viele der Kinder-Student:innen und präsentieren Ohrringe aus alten Kaffeekapseln, Ringe, Armbänder, Ketten – und immer wieder eigenhändig aus Papier gefaltete Schuck-Schachteln – mitunter mit sauberen Putzschwämmen ausgelegt, in die sie die Drähte der kreierten Ohrringe einhängen. Manche Schmuck-Teile haben sie aus lackiertem Draht angefertigt, den sie sich nun von Claudia-Eva, der Workshopleiterin mit einem Heißkleber beispielsweise auf kleine Kunststoff-Schmetterlinge picken lassen, die wiederum auf Haarspangen oder andere ihrer hergestellten Schmuckteile draufkommen.
Bevor „Der Stoff, aus dem man Träume macht“ sich in knapp 1 ¼ Stunden dem übertragenen Sinn widmet, präsentiert sich die spätere gleichnamige Vorstellung von Zenith Productions für Theater und Musik sozusagen im wahrsten Sinn des Wortes verträumt-stofflich: Zwischen den Publikumsreihen vor der Holz-Tribüne unter dem großen alten Baum im kleineren Innenhof des Wiener Volkskundemuseums stehen fahrbare Holzteile mit lilafarbenen Stoffen umwickelt, die sozusagen jeweils kleine Zellen bilden.
Das ganze Gebilde wiederum ist von zarten, durchsichtigen gitterartigen Stoffbahnen umhüllt. In diese „Zellen“ begeben sich als es dann wirklich (fast) losgeht, die meisten der Schauspieler:innen, schminken sich dort, führen letzte Aufwärmübungen durch und reden wie sie sonst vielleicht auch vor dem Aufritt bei den letzten Handgriffen an Kostüm und Maske.
Wer sich kurz umdreht, sieht im Eingangsbereich des Museums-Hofes einen gebückten, alten Mann in weitem Mantel mit dickem Buch unterm Arm. Der kommt langsam auf die Menschen unter den Vorhängen zu. Diese öffnen ihre „Verschläge“, wandern mit den fahrbaren Holzteilen in Richtung Bühne. Ebenso der Mann mit dem Buch.
Dieser, Kari Rakkola, von dem das Konzept und die Regie sowie – gemeinsam mit Roland Bonimair – die Bühnenfassung zu dieser Märchenstunde stammt, beginnt aus dänischem Original des Dichters Hans Christian Andersen zu lesen, teils mit Schwedisch gespickt. Und es taucht die verbindende Figur des Abends auf, eine junge Frau in weißem Kleid und nur in Socken – „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ (Linda Pichler). Natürlich mit riesigen Streichhölzern in der Hand. Und sonst nichts – bis ihr die sterbende Großmutter (Deborah Gzesh, die wie alle ihre Kolleg:innen mit Ausnahme Pichlers) in gefühlt mindestens ein Dutzend verschiedener Rollen schlüpft), überdimensionale Stoff-Schlapfen überlässt.
Wohlhabendere Bürger:innen, die sie um milde Gaben bittet, wimmeln sie mit häufig gehörten, gängigen ab: „Geb dir nix, das wäre gar nicht gut für dich“, „gemein, dass dich deine Eltern betteln schicken“… – ausgerechnet von jenen werden ihr solche Sätze an den Kopf geworfen, die ihr gerade noch die Schlapfen weggenommen haben! Die schon genannte Gzesh verwandelt sich nun in eine Sängerin, die mit einem bekannten jiddischen Lied über bitterste Armut, die Atmosphäre des Mädchens mit den Schwefelhölzern vom Einzelschicksal auf ein gesellschaftlich verbreitetes Phänomen erweitert.
Das Andersen-Märchen über das Mädchen mit den Schwefelhölzern wird zum Türöffner anderer Märchen. Jedes Mal, wenn die zu ebener Erd auf den kalten Steinen wandernde Schauspielerin ein Streichholz anzündet, öffnen sich oben auf der Bühne zwei der fahrbaren Holzwände. Vinzent Gebesmair, Deborah Gzesh, Kari Rakkola und Karoline Sachslehner spielen Kürzestversionen oder zentrale Szenen eines von mehreren Andersen-Märchens. Dazu zählen die bekannten vom „standhaften Zinnsoldaten“ mit nur einem Bein und natürlich „Des Kaisers neue Kleider“, in dem Betrüger dem aufgeblasenen Herrscher ein Nichts von Gewand als das prachtvollste verkauften, der Hofstaat sich nicht traute, die Wahrheit zu sagen. Das Kind aus Andersen Märchens ist in dem Fall das Mädchen mit den Schwefelhölzern, das „aber der ist ja nackt“ als Einzige zu sagen wagt.
Wie in einigen der Jahre zuvor, in denen Zenith Productions für Theater und Musik diesen idyllischen Hof bespielte – das Museum soll renoviert werden und der Hof damit für einige Jahre nicht zur Verfügung stehen – wird das schauspielerische Geschehen, immer wieder auch mit Stoffpuppen-Szenen, auf und rund um die Bühne mehr als nur untermalt von Live-Musik. Muamer Budimlić spielt praktisch durchgängig atmosphärische Klänge, die von schon genannten jiddischen Liedern über finnischem schamanistischem Rock bis zu Johann Sebastian Bach, Dada und Tango reichen. Und heuer bedient er, wenn er nicht mit Tasten und Knöpfen seines Akkordeons Melodien erzeugt, per kleiner Fernbedienung noch eine „Traummaschine“. Paul Skrepek hatte eine skurrile aus unterschiedlichsten Elementen bestehende fahrbare mechanische Klangmaschine mit Walzen und Nägel, Federn und Blaseblag und noch allem Möglichem gebaut, die klimpert und bläst, trommelt und pfeift – und das Traumthema wunderbar ergänzt.
Der Abend bringt darüberhinau weniger bekannte Märchen – „Der Tannenbaum“, der endlich groß sein will, um ein Schiffsmast oder in dieser Version ein Maibaum werden zu können und sich freut, wenigstens als Weihnachtsbaum gefällt zu werden. Aber bald nach dem Fest aussortiert wird. Rakkola griff auch Motive aus „Ove Lukøje“ (Ole Luk-Oie) auf und baute als einziges Grimm’sche Märchen „Die Sterntaler“ ein.
Letzteres ist die einzige Szene, in der sich das Schwefelholz-Mädchen in eine andere Protagonistin verwandelt – und aus der Armut kommt indem es die vom Himmel fallenden Sterne als Taler auffängt. Als himmlischen Lohn dafür, dass es zuvor als armes Mädchen das letzte Stück Brot mit anderen Armen ebenso teilt, wie Mütze, Hemd und Rock. Während es als Mädchen mit den Schwefelhölzern von Wohlhabenderen ja sogar um die eigenen großen Filzpantoffel gebracht wurde wie oben beschrieben. Mit diesem Bogen entkommt der traumwandlerisch-märchenhafte Abend auch der Gefahr der Romantisierung von Armut, weil das Mädchen ja mit jedem Feuerchen aus einem der Streichhölzer eine neue farbenfrohe Geschichte gesehen hat. Zu sehen – meist rund ums Wochenende bis 23. Juli 2023 – Details, siehe Info-Box unten am Ende des Beitrages.
Während noch gehörig an der selbstfahrenden, vollautomatischen Linie U5 in Wien gewerkt wird (ab 2026), gibt es kurzzeitig die „Linie Q“. Die führt in den Abgrund – oder Abgründe? Es handelt sich bei ihr um einen Mix aus Schauspiel, Performance, digitaler Schnitzeljagd, Elementen aus Escape-Room-Spielen, bezeichnet sich selbst aber – zu Recht – als „No-Escape-Room“ – mit ziemlich doppelbödiger Bedeutung.
Die erste Challenge für die interaktive Performance ist, den Veranstaltungsort zu finden. Die reine Ortsangabe würde schon eine ziemliche Herausforderung sein: In einem Teil der alten Wirtschaftsuni zwischen Spittelau (U4/U6) und dem Franz-Josephs-Bahnhof, dem sogenannten Magazin, steigt „Linie Q“ noch bis einschließlich 1. Juli 2023. Dieses erste Problem lösen die Veranstalter:innen mit einer Skizze auf der Homepage sowie vor Ort mit Plakaten und gelben Klebezetteln mit Pfeilchen.
Challenge Nummer 2: Der einzuscannende QR-Code, der für das erste Level des „No-Escape-Room“-Games erforderlich ist, um mitmachen zu können, führt nicht in jedem Browser zum Ziel. Aber auch da schaffen die Mitarbeiter:innen der Koproduktion von „Over 10.000“ und WuK performing arts Abhilfe: Sie unterstützen im Empfangsbereich beim Switchen bzw. Installieren der erforderlichen Ressourcen. Und wenn’s gar nicht klappen sollte oder jemand ohne Smartphone kommt, so gibt es eigens dafür bereitgehaltene Leihhandys.
Und dann geht’s auf. Oder doch nicht. Alle – die Teilnehmer:innen-Zahl ist auf knapp zwei Dutzend begrenzt – sind startbereit, die Spielleiterin Victoria Halper im schwarzen Arbeitsoverall kommt mit einem bedauernden Lächeln auf den Lippen: „Sorry, we are closed“, es gäbe Probleme mit dem Strom. Doch das glaubt ihr keine und keiner. Also geht’s doch los. In den ersten großen sehr dunklen Raum. Nun treten die Smartphones und das installierte Spielzeug in Aktion. Mit diesem gilt es megagroße QR-Codes zu scannen – die führen dich jeweils zu einem „Ticket“ für eine der Linien – rot, grün, braun… mit einer grafischen Streckenführung. Aber die ist nebensächlich. Nun gilt es, kleinere QR-Codes der jeweiligen Farbe zu finden. Damit landest du auf deinem Screen bei Fotos oder (Online-)Zeitungsartikeln über aktuelle Umwelt- und andere Probleme – von der Ölindustrie, die die Klimakonferenz COP27 im ägyptischen Scharm al-Scheich mit mehr als 600 Vertreter:innen gleichsam gekapert hat über gestiegene Energiepreise, die Inflation generell und viele mehr bis zu Gefahren Künstlicher Intelligenz.
Und die ist generell Teil der gesamten Performance. Denn Teile der Texte in den nicht ganz zwei Stunden haben sich die Künstler:innen (Konzept & Regie: Kai Krösche, Konzept & Ausstattung: Matthias Krische) von Chat GPT schreiben lassen. Übrigens auch einen Großteil des nachträglich verteilten Programm-Heftes; andere Texte stammen von Emre Akal bzw. James Stanson. Über Künstliche Intelligenzen ließen sich die Künstler:innen aber auch Bilder und Videosequenzen bauen sowie Entwürfe für die Kostüme erstellen. Und mit einer dieser Tools, die in den vergangenen Monaten rasant weiter entwickelt worden sind – was das Konzept dazwischen stark verändert hat – werden sogar Texte, die der Schauspieler und Musiker Simon Dietersdorfer eingesprochen hat in den Stimmen eines alten Mannes, zweier Frauen und eines Kindes.
Nach diesem Exkurs über das Zusammenspiel von kreativen Menschen und digitalen Werkzeugen auf der Höhe der Zeit zurück zur Performance. Neben der Informations-Schnitzeljagd über QR-Codes entlang der verschieden-farbigen Linien spielt sich auf dieser ersten Ebene in den Monitoren ein filmisches kleines Drama ab: Die U-Bahn fährt und fährt und der Protagonist als Fahrgast sollte schon längst am Ziel sein, tut es aber nicht. Zu dieser Story ließen sich die Macher:innen von Friedrich Dürrenmatts dystopischer, absurder Kurzgeschichte „Der Tunnel“ inspirieren – wie sich im Programmheft anmerken. In dieser checkt ein 24-jähriger Student, dass der Tunnel auf der Strecke, die er oft benutzt, an sich sehr kurz ist, an diesem Tag aber nicht und nicht enden will. Er kämpft sich vor bis zum Zugführer und mit diesem zur Lokomotive, die fahrerlos in den dunklen Abgrund rast. Dürrenmatt ließ in der ursprünglichen Fassung (1952) die Geschichte mit dem Satz enden: „Was sollen wir tun“ – „Nichts (…) Gott ließ uns fallen, und so stürzen wir denn auf ihn zu.“ In einer zweiten, 1978 veröffentlichten und mittlerweile verbreiteteren Fassung fehlt der letzte Satz; die Geschichte endet mit: „Nichts.“ (Quelle: wikipedia).
Hier führt das Rasen in den Abgrund zunächst nur die Stufen eine Ebene hinunter – die Performance ist – überall aber auch angekündigt – nicht barrierefrei. Hier finden sich Zelte und Zeltwände als mehr als halboffene Unterschlüpfe. Natürlich mit weiteren QR-Codes und Video- und Audio-Erzählungen – mit den oben schon erwähnten künstlichen, aber natürlich klingenden, Stimm-Verzerrungen, aber halbwegs gemütlichem Verweilen mit einem Mittelding aus Camping- und Notausrüstung bis der Satz fällt: „Die Zeit der Menschen ist vorbei!“
Worauf es nochmals abwärts geht, noch ein Stockwerk runter: In einer Art düsterer Großraum-Disco „predigt“ ein Mensch mit glitzernder Maske in rhythmischer, teils fast rappender Sprache an einem DJ-Pult die (Umwelt-)Sünden der Menschen wie in einer Art Jüngstem Gericht. Allerdings ist der Raum selbst an Wänden und Decke – nur der Boden nicht – mit Unmengen von Alufolie ausgekleidet. Vielleicht der sichtbare Ausdruck dafür, wie Anspruch und Wirklichkeit in Sachen Umweltschutz oft sehr weit auseinanderklaffen?
Wobei der Text in diesem Abschnitt aus Menschenhirn und -hand und nicht von einer KI stammt 😉
„Hör auf, unsere Karriereleiter zu essen! Du Holzkopf!“, sagt die Sockenpuppe Chisèl auf der kleinen Nebenbühne zu ihrem Sockenpuppen-Partner Hazel. Die Hände, um sie zu bewegen leiht ihnen Michael A. Pöllmann. Es sind sozusagen mit die ersten Worte und Bewegungen in diesem neuen Marionettentheater in der Oberpflanz (Deutschland). Dabei handelt es sich um das allererste feste Theaterhaus in Schwandorf, einer immerhin 30.000 Einwohner:innen-Stadt. Eigentlich liegt das Theater in Fronberg, das mit seinen nicht ganz 2000 Menschen seit 50 Jahren zu Schwandorf gehört (seit einer Gebietsreform 1972).
Wenig später begann der Schwandorfer Kunstlehrer Raimund Pöllmann mit Marionetten-Figuren, die er mit Schüler:innen im Werkunterricht und seiner Frau Christine baute, Stücke rund um Weihnachten zu spielen – meist im Dachgeschoss der „Kebbel-Villa“, dem Oberpfälzer Künstlerhaus, das gleich neben dem neuen Theater liegt.
Michael, meist Micha genannt, wuchs in Schwandorf, wohin die Pöllmanns gezogen waren, um vom Schulamt gemeinsam Stellen als Lehrer:innen zu bekommen, auf. Und war von Klein auf mit den Figuren, die an Fäden hängen und mit den Händen über hölzerne Kreuze bewegt werden, vertraut. Als Jugendlichen zog es ihn jedoch raus aus der Kleinstadt, zunächst nach Ulm zum Schauspielstudium. Und später nach Wien. Obwohl er selbst auf der Bühne spielte, zog es ihn später wieder zum Spiel mit Figuren und Objekten, die vor allem Scarlett Köfner designt und baut. Gerne arbeiten Scarlett Köfner und Michael Alexander Pöllmann in internationalen Koproduktionen z. B. mit den slowenischen Puppenbauer:innen Aleksander Andželović, Darka Erdelji und Primož Mihevc Köfner vom Puppentheater Maribor.
2019 übernahm Micha die Leitung des Schwandorfer Marionettentheaters und als die ehemalige Bankfiliale neben dem Künstlerhaus frei wurde, gelang es den Puppenbauer:innen en Oberbürgermeister und die Stadtverwaltung für die Idee eines fixen, wie schon geschrieben, ersten Theaterhauses zu begeistern. Gespielt wird – ein breites Spektrum von Stücken – auf Wunsch der Puppenspieler:innen aus Schwandorf werden aller Voraussicht nach auch wieder alte Stücke der Eltern aufgenommen – immerhin gibt es dazu einen Fundus aus einigen Hundert Figuren. Pöllmann und Köfner verlegen ihren Lebensmittelpunkt aber nicht aus Wien nach Schwandorf, sondern kommen, um blockweise im neuen Theter in der Oberpfalz zu spielen und Workshops zu geben – ins Marionettenspiel aber auch in Upcycling.
„Pinocchio war als Eröffnungsproduktion aufgelegt. Wenn aus einem Stück Holz eine lebendige Figur wird, gibt’s nichts Besseres für ein Figurentheater“, so Pöllmann zu Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… Auf Einladung des neuen Theaters reiste kijuku.at nach Schwandorf, um zu berichten.
Pöllmann und Köfner bauten aber nicht nur die Puppen und Objekte für das Stück, sie bauten auch das einstöckige Bankhaus in ein Theater um, vor allem der Raum über der Bühne ist ausgetüfelt. Von hier aus ziehen die Spieler:innen, teils ehemalige Schüler:innen von Pöllmann senior, der heuer 85 Jahre wird, die Fäden. An diesen hängen u.a. mehrere Pinocchios – einer sogar mit einem Spezialmechanismus, mit dessen Hilfe die Nase aus dem Kopf weit rausgefahren werden kann. Das Wachsen der Nase beim Lügen gehört einfach zu dieser klassischen Figur, die Carlo Collodi erfunden hat.
Ansonsten hat Michael A. Pöllmann eine doch eigene Version nach dem Original entwickelt, die zwar entlang der bekannten Geschichte aber mit fantasievolleren Ausflügen und Abweichungen erzählt. So wird die Fee praktisch zu so etwas wie der Mutter Pinocchios oder zumindest der Lebensgefährtin des Tischlers Gepetto, der ja doch der Vater des lebendig gewordenen hölzernen Jungens ist.
„Ein bisschen eigen sind wir schon, wir drei“, sagt Gepetto kurz vor Schluss.
„Fee: Wieso eigen? …
Pinocchio: Ein alter Träumer, eine blaue Fee und eine lebendige Holzpuppe.
Gepetto: Tja, normal ist anders.
Fee: Nein, anders ist normal.
Gepetto: Sind wir eben eigen. Normal eigen.
Pinocchio: Wie auch immer, Hauptsache zusammen…
… Fee: Ihr seid die allerschrägsten Typen dieser Welt..
Alle (3): Wir sind die besten Ruhestörer auf der Welt.“
Die eben zitierte Passage gegen Schluss des rund 1 ½-stündigen Stücks bringt stark den kompletten Bruch mit dem Grundtenor des Originals als Art „Erziehungsroman“ zum Ausdruck. Der schlug/schlägt sich nicht zuletzt in dem eher diskriminierenden Namen nieder, steht doch Pinocchio eher für Dummkopf (pinco = Dummkopf). Hier aber wird die Neugier des kleinen Jungen gefeiert und (nicht nur) sein Anders-Sein!
Zu den Abweichungen bzw. Erweiterungen gehört auch das schon eingangs zitierte Holzwurmpärchen als witzige Side-Kicks, die auf der kleinen Nebenbühne beginnen, mehrmals zwischendurch auf der großen Marionettenbühne in Erscheinung treten, mitunter das Geschehen in der Pinocchio-Geschichte kommentieren. Vor allem aber unterhalten sie sich über wertvolle Nahrung im hölzernen Theater unterhalten, wobei Hazel (Haselnuss) von der französisch ausgesprochenen Variante des englischen Begriffs für Meißel (chisel) einbremsen lassen muss.
Die Stimmen – von Schauspieler:innen eingesprochen – kommen sozusagen vom Band. Das Marionettentheater gab darüberhinaus Musik in Auftrag, die Nele den Broek komponierte und die Liedtexte sang. Der erste Song orientiert sich an Bert Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“ – auch da die ersten Zeilen – von der Ausruferin Lucinola fast aufgelegt: „Und Gepetto hat ein Messer und das trägt er in der Hand…“
Compliance-Hinweis: Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… wurde vom Marionetten Theater Schwandorf auf die Reise und den Aufenthalt in dieser Stadt eingeladen.
„Wenn wir der Erde etwas wegnehmen, müssen wir ihr auch etwas zurückgeben. Wir und die Erde sollten gleichberechtigte Partner sein. Was wir der Erde zurückgeben, kann etwas so Einfaches – und zugleich so Schwieriges – wie Respekt sein.“ Dieses Zitat von Jimmie C. Begay, vom Stamm der Navajo, einer der indigenen Gruppen oder First-Nations aus Nordamerika setzten Schüler:innen der HLW (Höhere Lehranstalt für Wirtschaftliche Berufe) aus Šentpeter/ St. Peter gemeinsam mit dem Slowenischen Kulturverein/ Slovensko prosvetno društvo Rož (SPD Rož) in Szene. Als zwei einander verfeindete Gruppen begannen sie mit weißen bzw. schwarzen Sesseln auf der Bühne der Kammerlichtspiele, eines Theaters in Klagenfurt bzw. Celovec wie die Kärntner Landeshauptstadt auf Slowenisch heißt.
Diese und einige andere (Schul-)Gruppen stellten Auszüge aus ihren Projekten im Rahmen von „Schule-Jugend-Theater/ Šolsko-mladinsko-gledališče“ im Rahmen eines internationalen inklusiven Theater-Treffens kurz vor dem Muttertag 2023 vor („Europäische und internationale Partnerschaften zur Entwicklung von Fertigkeiten zur sozialen Inklusion mittels Kreativität und Kunst“). Und damit wurden neben den beiden schon erwähnten Kärntner Landessprachen Deutsch und Slowenisch noch eine dritte sichtbar: Gebärdensprache.
Letztere wurde – neben der Live-Simultan-Übersetzung vor allem in einem Projekt mit einem fast unaussprechlichen Titel sichtbar: FeOSiMgSNiCaAl. Wer in der Schule schon Chemie hatte, könnte draufkommen. Es handelt sich um die Zeichen für die chemischen Elemente Eisen (Fe), Sauerstoff (O), Silizium, Magnesium, Schwefel, Nickel, Cadmium und Aluminium. Sie kommen am häufigsten auf der Erde vor. Einige der Schüler:innen dieses Projekts der Mittelschule 5 Klagenfurt-Wölfnitz / Srednja šola 5 Celovec-Golovica sowie der Volksschule 20 Klagenfurt-Viktring /Ljudska šola 20 Celovec-Vetrinj hatten die Kurzbezeichnungen auf ihre T-Shirts gemalt und zeigten in Gebärdensprache den vollen Wortlaut, den sie in Lautsprache wiederholten.
Der Umgang der Menschen mit unserem (Heimat-)Planeten und die drohende Zerstörung der Lebensgrundlagen desselben – für uns, aber auch viele Tiere und Pflanzen – war das Generalthema für diese Projekte zwischen Schule und (Theater-)Kunst). Der passende Titel wie er schon von vielen Demos der Bewegung Fridays für Future bekannt und doch hier abgewandelt wurde: „Es gibt keinen Plan(eten) B“/ „Plan(eta) B ni“. Dafür aber (er)fanden Kinder und ihre Pädagog:innen aus der VS Klagenfurt 1 / LŠ Celovec 1 sowie des Montessori Kindergartens Bunte Knöpfe / Montessori vrtec pisani gumbi den „Planeten E“ – für Erde, einmalig, einzigartig! Sie setzten dies in einen fantastischen Film um, in dem sie in wenigen Sekunden die Entstehung des Uni-was?, des Universums vom Urknall weg recht witzig schildern und einige sich in die Montur von Wissenschafter:innen in Labors begeben, die an umweltverträglichen und nachhaltigen Antrieben „forschen“. Für Schmunzeln bis Staunen sorgte ihr Zeichentrick-Antwort auf die selbstgestellte Frage, ob es Außerirdische gibt: „Zuerst schickten die Menschen einen Hund ins Weltall, das war damit der erste Außer-Irdische!“
Mit den Planeten unseres Sonnensystems setzten sich auch Kinder der Volksschule Nötsch / LŠ Čajna auf der Bühne auseinander. Wobei in dem Projekt „Katz im Sack III, Der Planet (B) auf dem Spiel“ gemeinsam mit der VS Bad Bleiberg / LŠ Plajberk pri Beljaku sowie der Mittelschule Nötsch-Bad Bleiberg / NSŠ Čajna/ Plajberk pri Beljaku und dem Bergmännischen Kulturverein Bad Bleiberg / Knapovsko kulturno društvo Plajberk pri Beljaku auch der alte vor 30 Jahren stillgelegte Blei-Bergbau mit ehemaligen Minenarbeitern zur Sprache kam. In diesem Projekt treffen wir auf einen „neuen Planeten“, den namens K – für Kinder.
„Lalü lala“ – die Sirenen eines Rettungsautos sind zu hören, als eine fast wildromantische Flusslandschaft im Bild zu sehen ist. Der Film dokumentiert das Projekt „Last Call“ (letzter Aufruf) des Lehrgangs der Kärntner Volkshochschulen / Koroška ljudska univerza) zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses sowie von Schüler:innen der SOB (Schulen für Sozialberufe Wolfsberg – Šola za socialne poklice Volšperku). Die Jugendlichen machten sich auf und sammelten leere Getränkedosen, Plastikflaschen und anderen in der Natur weggeworfenen Müll – und beklebten damit einen riesigen aufgeblasenen Ball (Durchmesser: 2,5 Meter) als Symbol für unsere vermüllte Weltkugel, die nun in einem leerstehenden Geschäftslokal in der Kärntner Landeshauptstadt zur abschreckenden Besichtigung ruht.
Gemeinsam mit der neuebuehnevillach / neuebuehnevillach Beljak machten sich Jugendliche der Sportmittelschule Villach Lind / Srednja športna šola Lipa pri Beljaku auf ins Görschitztal. Erkundeten die Natur und ließen sich zunächst zum Thema Umwelt recht allgemein befragen. Unbeeinflusst sagten sie – in der filmischen Dokumentation gezeigt – ihre Meinung. Dann ging’s konkret um den vor fast zehn Jahren hier stattgefundenen Umweltskandal. HCB (Hexachlorbenzol), ein Wirkstoff, der Pilze oder ihre Sporen abtötet oder ihr Wachstum verhindert, wurde aus einer ehemaligen Deponie der Donau-Chemie freigesetzt, versuchte Grundwasser und in der Folge Nahrungsmittel. Und wurde zumindest monatelang von den Behörden verschwiegen.
Wo holten sich die Schüler:innen Informationen darüber – das war ein Teil des Projekts. Die meisten gaben an, aus dem Internet, ein paar hatten auch ihre Eltern befragt, sie selbst waren damals ja noch deutlich zu jung (aufgeflogen im Jahr 2014). Davon ausgehend ist im Film zu sehen, wie der Lehrer die Jugendlichen fragt, wo sie sich am informieren – bei Eltern, Lehrer:innen oder im Internet. Bei Letzterem gingen die meisten Arme in die Höhe.
Von da her schlug bei den filmischen Präsentationen im Spiegelsaal der Kärntner Landesregierung am Vormittage – bevor die oben schon geschilderten Szenen in den Kammerlichtspielen gezeigt worden sind – der Projektleiter von Schule-Jugend-Theater Šolsko-mladinsko-gledališče, Herbert Gantschacher, der gemeinsam mit dem u.a. für Bildung zuständigen Landesrat Daniel Fellner Urkunden an die beteiligten Schüler:innen und Lehrer:innen verteilte, den Bogen zum Thema im kommenden Schuljahr: Fake News.
Die Gäst:innen des schon genannten inklusiven Theater-Treffens – aus Polen, Israel, Schweden, Belgien, Deutschland und Österreich – ließen sich nach den Präsentationen der Schüler:innen und diversen Besichtigungen vor allem auf einen Workshop ein in dem sie Augen verbanden, Ohren zustöpselten und „blind“ und gehör-beeinträchtigt Gegenstände auf einem Tisch zu erkennen trachteten und im Gänsemarsch – Hände auf Schultern der jeweils davorstehenden Person – sich durch den Raum und Gang eines Gebäudes führen ließen.
Compliance-Hinweis: Die Berichterstattung konnte/kann nur erfolgen, weil Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … im Rahmen des EU-Projekts „Europäische und internationale Partnerschaften zur Entwicklung von Fertigkeiten zur sozialen Inklusion mittels Kreativität und Kunst“, in dem Österreich von „ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater (Klagenfurt/Salzburg/Wien, Österreich)“ vertreten ist, auf die Reise nach Klagenfurt eingeladen worden ist.
„Die härtere Komödie“ – so bezeichnet das Internetlexikon wikipedia „Muttertag“, den mittlerweile zum Kult gewordenen Film, der (fast) jedes Jahr rund um diesen zweiten Sonntag im Mai im österreichischen TV läuft und heuer seinen 30. Geburtstag feiert. Dass rund zwei Jahre vor dem Film dieses nummernkabarettistische bitterböse Stück mit überzeichneten Klischee-Figuren ein Bühnenwerk der Gruppe Schlabarett (Eva Billisich, Alfred Dorfer, Roland Düringer, Andrea Händler, Reinhard Nowak) war, weiß kaum noch wer. Auch nicht, dass der danach gedrehte Low-Budget-Film in den Kinos eher floppte.
Aber auch Kottan oder Mundl hatten anfangs alles andere als Erfolg. Die Bekanntheit des Kultfilms im Fernsehen und seine jährliche Wiederholung lockt(e) auch viele Zuschauer:innen ins Theater Forum Schwechat. Seit der Premiere beschert „Muttertag“ dem Theater knallvolle Publikumsreihen und Vorbestellungen. Noch wird (ca. 2 Stunden, eine Pause) bis 24. Mai gespielt – und es gibt nur mehr Restkarten.
Jene Altersschichten, die den Film – viele sicher mehrfach – gesehen haben, kommen mitunter schon mit dem einen oder anderen Spruch daraus ins Theater wie „I sog’s glei, i waor’s ned!“. Spätestens bei den Verabschiedungen wird das „Wiedaaschauauaun“ entsprechend lang gezogen mit einem sarkastischen Unterton – aufgefrischt durch die Aufführung, die auch einige jüngere Zuschauer:innen ins Theater lockt, die bei der Geburtsstunde des Kabarettprogramms noch gar nicht auf der Welt, meist nicht einmal noch geplant waren.
Das Bühnenstück in Schwechat spielt nicht 1:1 den Film, aber auch nicht die alte Kabaretttheater-Version nach, orientiert sich aber sehr daran, auch am Ablauf als aneinander gereihte Nummern, die dennoch einen dramaturgischen Bogen ergeben. Das alte Postamt mit Wählscheiben-Telefon und gleichzeitig Sparkassa feiert ebenso fröhliche Urstände wie das Treffen der Jungschargruppe mit den pubertierenden Jugendlichen und der strengen auf Seriosität bedachten Gruppenleiterin oder der Drogeriemarkt, in dem die Frau Neugebauer vom Detektiv als Ladendiebin entlarvt wird, während ein anderer „Konsument“ mit prall gefülltem Mantel „nur schauauaun“ war. Als Abschluss und sozusagen Höhepunkt die „Muttertagsfeier“ von Ehemann, Sohn und Opa für „Trudl“ Neugebauer auf dem Balkon der Gemeindwohnhausanlage Schöpfwerk (im Film, in Wien-Meidling). Wo alles aus dem Ruder läuft. Und gut und gern auch gespoilert werden könnte, ist doch den meisten alles bekannt. Aber vielleicht gibt’s doch die eine oder den anderen, wer’s noch nicht weiß, und trotzdem auch noch Spannungsmomente erleben möchte – daher seien die Eskalationen doch nicht verraten!
Zu sehen und erleben sind – in der Regie von Andy Hallwaxx: Die künstlerische Leiterin des Theaters, Manuela Seidl, die die legendäre Postbeamtin, die eher auf Sperrschluss pocht, die Jungscharleiterin sowie Trudl, die Ehefrau, Mutter und Schwiegertochter der Familie Neugebauer spielt. Evelyn Schöbinger, mit der alle Männer gern eine Affäre hätten/haben, wird von Adriana Zartl verkörpert, die u.a. auch in die Rolle einer der Jungschar-Jugendlichen schlüpft.
Hubert Wolf – der wie seine Kolleg:innen und wie seinerzeit die Ur-Besetzung viele Rollen dasrstellt, überzeugt vor allem als Opa Neugebauer mit (vorgegebener) Schwerhörigkeit, (gespielter) Senilität und bitterböser Wehr gegen die drohende Abschiebung ins Heim sowie das Auseinanderfliegen der Familie. Seinen Enkel Mischa und damit Sohn von Trudl und Edwin Neugebauer gibt Olivier Lendl, der u.a. auch den Dieb mit weitem Mantel, der „nur schaut“, spielt.
Last but not least zu nennen ist Reinhard Nowak, der auch schon in der Original-Partie vor 32 Jahren auf Bühnen und dann zwei Jahre später im Film dabei war – und hier in seine alten Rollen schlüpft, vor allem den Kaufhausdetektiv Übleis sowie Edwin Neugebauer, der auf braver Ehemann tut und dennoch eifersüchtig auf seinen Kumpel Garry ist, der mit Evelyn Schöbinger – so wie er selbst – eine Affäre hat.
Gerade die Balkonszene am Schluss lässt trotz ihrer bitterbösen Ironie die Frage aufkommen, ob hier (Geschlechter-)Rollenklischees lächerlich bloßgestellt oder gar „nur“ lustig weitergetrieben werden?
Wie auch immer: Im Programmzettel zu „Muttertag“ kündigt Theater Forum Schwechat an: „Wir schreiben eine Fortsetzung – Vatertag – die Frauen schlagen zurück. Realsatire: Was die Männer können, können die Frauen schon lange und wenn sich der Opa auf den Willi setzt, macht die Oma ihn mit ihren Gesangskünsten fertig. Eine Antwort auf Muttertag, nur über 30 Jahre später! Alles hat sich geändert, die Emanzipation hat Einzug gehalten, es wird gegendert, was das Zeug hält, aber haben wir uns tatsächlich weiterentwickelt?“
Sogar die Premiere ist schon angekündigt: 4. Mai 2024, 20 Uhr
Schon im Hintergrund eine Art Schnürl-Vorhang – aus lauter aneinander geknüpften Plastikflaschen und an einem seitlichen Bühnenrand stehende aufblasbare Sitzmöbel deuten das Problem an, um das sich „Es zieht!“ drehen wird. 14 Kinder und junge Jugendliche bespielen – eingebettet in eine Geschichte rund um eine Party – das Thema Plastik(müll).
Die jungen Darsteller:innen haben mit ihrer Regisseurin die ganze Saison in einer der vier Theaterwild:Werkstätten – wie die anderen drei – das Stück gemeinsam erarbeitet. In dieser Werkstatt namens „Wildwuchs“ haben sie sogar für das Bühnenbild und die Requisiten gesammelt – die Flaschen – im Laufe der rund 50 Minuten werden fast Unmengen von solchen auf die Bühne rollen und fallen.
Auswirkungen dieser Vermüllung auf die Welt(meere) spielen sie in verschiedenen Szenen, die – durch Blacks getrennt – ins Party-Spiel eingebaut sind. So schwimmen die meisten der jungen Theaterleute als Fische über die Bühne und beißen sich an Plastikstücken – von anderen gespielt – tot.
Aber auch die Party selbst – mit Freund- und Feindschafften, dem Auftreten unterschiedlichster Typ:innen – einer Hilfsbereiten ebenso wie zweier reicher Schwestern, die allen zeigen wollen, was sie sich alles leisten und sozusagen auch die Welt kaufen könnten – hat einen bitterbös-sarkastisch-witzigen Höhepunkt: Eine der Gäst:innen bietet Luft in Sprayflaschen an, dafür gibt’s kein Trinkwasser mehr und das regionale Bio-Buffet bleibt praktisch unangetastet.
Trotz der Schwere der Themen ist „Es zieht!“ – der Titel klärt sich erst am Ende und soll hier natürlich nicht verraten werden – wird das Stück recht witzig werden – Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… durfte eine der letzten schon durchgängigen Proben sehen, weil zur Aufführungszeit nicht anwesend. Für den Humor sorgen einerseits der Spielwitz der jungen Darsteller:innen als auch die überspitzt präsentierten zugespitzten Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Erde, von der es keinen Ersatz also keinen Planeten B gibt. Dass sich das Publikum aber nicht nur gedanklich damit auseinandersetzen soll, dafür sorgt ein aktionistisches Ende – das natürlich nicht gespoilert werden soll.
Auch die anderen drei Theaterwild:Werkstätten im Theaterhaus für junges Publikum haben sich intensiv mit der Klimakrise auf Menschen und Natur auseinandergesetzt. Die szenischen Ergebnisse der monatelangen Workshops sind nun beim Festival – bis 12. Mai 2023 (manche aber nur bis 6. bzw. 9. Mai) zu erleben – siehe Info-Box.
Sarah-Ann Neugebauer und Marie Keller stehen mit fetten Kopfhörern auf den Ohren vor einer der seitlichen Türen des gerammelt vollen Publikumssaals im Theater Akzent. Als Geschwister Laskera und Lesina beginnen sie zu schwingen. Offenbar hören sie tanzbare Musik. Der große rote Bühnenvorhang ist noch zu. Nun kommt Musik – offenbar jene, die die beiden schon über ihrer Kopfhörer vernommen hatten, auch aus den Lautsprechern, die beiden tanzen durch die Gänge zwischen den Zuschauer:innen-Blöcken, nähern sich der Bühne, auf der ein gelbes Seil wie eine Schlange liegt. Die beiden betreten die Bühne, der Vorhang öffnet sich und gibt die Blicke frei.
In der Mitte auf einem Podest steht eine weißgekleidete Frau mit urururur….langen „Haaren“, goldgelben, die sich links und rechts auf der Seite der Bühne bis zum vorderen Bühnenrand über den Boden schlängeln. Sara Willnauer stellt sich als Hüterin der Zeit vor – begleitet von etlichen ebenfalls weiß gekleideten Tänzerinnen und Tänzern. Das Spiel kann nun voll beginnen. „Der Goldene Faden“ heißt die aktuelle Produktion der inklusiven Tanzstudios „Ich bin O.K.“, die am Welt-Down-SyndromTag (21. März) ihre erste Aufführung vor Publikum erlebte, die Vorpremiere vor viiiielen Schülerinnen und Schülern. Die spendeten immer wieder spontan auch zwischendurch Szenenapplaus. Und nach rund eineinhalb Stunden als manche schon das vermeintliche Ende empfanden „Zugabe! Zugabe!“-Rufe. Was die Tänzer:innen insofern gaben, weil das Stück noch eine ¼ Stunde weiterging.
Die beiden – eingangs genannten – Geschwister führen durch das Stück, das die Kinder und Jugendlichen in einem wochenlangen Prozess selbst entwickelt hatten. Alles dreht sich um Streit. Immer und immer wieder geraten – ausgehend von Königin (Stephanie Platzer) und König (Severin Neira) Kinder, Hofstaat und alle aneinander, mehr oder minder heftig. In einer langen, abenteuerlichen Reise gelangen die Geschwister, die selber auch anfangen zu streiten in ein Labyrinth, das sie durchqueren müssen, um den magischen Kristall zu finden. Mit dem können Streithansl und -Gretl, sprich Königin und König, sie grün, er lila gekleidet, in die Zukunft schauen, wie sie der Streit zu Gewalt und Krieg weiterentwickeln würde.
Doch so schnell lernen sie nicht daraus. Es kommt zu mehreren Rückfällen ins alte Verhaltensmuster bis sie … – natürlich gibt es ein Happy End – gefeiert mit einem Friedensball, nachdem das Monarch:innen-Duo sich zuvor noch einmal gestritten hat ob Friedensfest oder Versöhnungsball. Ach ja, und die Geschwister befreien die beiden auch von ihren Kronen, die nun reihum alle paar Augenblicke wer anderer auf dem Kopf trägt – kein herrschendes Paar mehr, sondern gemeinsam bestimmen alle mit.
Weitere Aufführungen bis 30. März sowie zwischen 17. und 23. April 2023 im Theater Akzent – siehe im ausführlichen Info-Block, in dem auch alle Mitwirkenden auf und viele hinter der Bühne angeführt werden.
Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… hat schon ausführlich von einer Probe berichtet – zu diesem Bericht und einem Interview mit einer Darstellerin, die in mehrere Rollen schlüpft, hier unten.
Eine große runde Scheibe schwebt im Hintergrund über dem Geschehen. Zwei gemalte f-Löcher (die Form der Schalllöcher von Streichinstrumenten) erinnern hier in ihrem Zusammenspiel entfernt vielleicht an ein Herz. Oder die Flügel eines Schmetterlings. Darunter begrenzen zwei gebogene Wände die kleine große Welt von Eva, ihrem nur fallweise in Erscheinung tretenden und doch präsenten Ehemann Viktor. Und vor allem Evas Mutter, Charlotte Andergast.
Letztere kommt – nach sieben Jahren erstmals – ihre Tochter besuchen. Und wie. Sie fährt glich mit einem riesigen Koffer, der gleichzeitig zum Bett und einer Art liegendern Telefonzelle wird (Bühne: Raoul Rettberg, Produktions-Assistenz: Alice Gonzalez-Martin) auf. Durchgestylt (Kostüme: Anna Pollack) ist die weltberühmte Konzertpianistin Andergast (Brigitte West) eine Erscheinung. Alles ist Bühne für sie. Die Tochter (Dana Proetsch) eher Statistin.
Das Verhältnis zwischen den beiden ist das bestimmende Thema von „Herbstsonate“. Erstmals ist dies nun als Stück im Wiener Theater Spielraum zu erleben. Grundlage ist das literarische Drehbuch von Ingmar Bergman, dessen gleichnamiger Film vor 45 Jahren erstmals im Kino zu sehen war – es war der letzte Film, in dem Ingrid Bergman (Charlotte) spielte, in der Rolle ihrer Tochter Eva war Liv Ullmann zu sehen, die übrigens eine Zeitlang mit dem Filmregisseur verheiratet war.
Als Gerhard Werdeker, Co-Leiter des Theaters Spielraum (Wien-Neubau), den Film damals sah, „wusste ich, daraus will ich einmal ein Stück machen. Manche Idee brauchen Zeit für die Umsetzung. Und die richtigen Schauspieler:innen, in dem Fall vor allem für die Rolle der Charlotte“, verriet er am Rande einer der letzten Proben Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr…
Es ist übrigens das erste Mal, dass dieses Theater ein Stück nach einem Film produziert. Ansonsten sind es vorhandene, oft ein wenig in Vergessenheit geratene, Theaterstücke oder literarische Texte, die die Basis für die Stücke hier bilden – praktisch immer mit einem auch in die Gegenwart reichenden wichtigen gesellschaftspolitischem oder gesellschaftlichem Thema. Hier nahm sich Werdeker, der das Stück inszenierte, übrigens die englische Übersetzung des Drehbuchs und das schwedische Original her, um daraus die viel getreuere Spielfassung als die vorhandene deutsche Übersetzung, zu schreiben.
Charlotte rauscht an nachdem ihr Lebensgefährte Leonardo gestorben ist. Die Tochter hat zwar Angst vor dem Zusammentreffen nach so langer Zeit, freut sich aber trotzdem. Freude auch bei der Mutter, aber nur gespielte. Gleichzeitig strahlt sie aus, dass ihr dieser Besuch lästig ist. Zuhören kann und will sie ohnehin schwer. Gibt es überhaupt jemanden außer ihr?
Sehr krass auch jene Szene relativ zu Beginn des Besuchs, in der Charlotte ihre Tochter bittet, am Klavier zu spielen. Während – aus dem Off – Frédéric Chopins Prélude Nr. 2 in a-moll ertönt, schafft es Brigitte West in der Rolle der Charlotte mit allerhand Grimassen mehr als überdeutlich zu signalisieren, wie ihr das Spiel der Tochter missfällt. Aber auch jede andere nur halbwegs bemüht nette Floskel konterkariert sie durch ihre Körpersprache und Mimik. Einfach arg, fast unerträglich spielt West das – wenngleich doch mit einer leichten Nuance von Distanzierung. Aber doch so heftig, dass sich insbesondere die Mitspielerin nach der gelungenen Hauptprobe, die der Journalist besuchen durfte, bemüßigt sah, zu versichern: „In Wahrheit ist die Brigitte wirklich eine ganz liebe Kollegin“. Und alle anderen – vom Regisseur bis zur Theater-Co-Leiterin Nicole Metzger, die in diesem Fall das – wie immer umfangreiche, hintergründige – Programmheft gestaltet hat, pflichteten ihr bei.
Allein schon die Tatsache, dass Eva ihre Schwester Helena aus dem Behindertenheim nach Hause geholt hat, nervt die Mutter. Diese Tochter tritt übrigens immer nur indirekt – durch den leuchtenden Mond – das Licht (Tom Barcal) verwandelt den eingangs beschriebenen Kreis zu einem solchen sowie den Erzähler auf. Den verkörpert – ebenso wie Evas Ehemann Viktor -, Christian Kohlhofer.
Natürlich schaukelt sich die Situation auf. Nach und nach ringt sich Eva durch, zu sagen, wie sie als kleines Kind und später als Teenager die Mutter erlebt hat. In einer Szene sagt sie klipp und klar: „Ich weiß nicht, was schlimmer war: die Zeit, die du zu Hause warst und Ehefrau und Mutter gespielt hast oder die Zeit, wenn du auf Tournee warst.“
Zunehmend traut sich die Tochter die Mutter dafür anzuklagen, was sie erleiden musste – und dabei leidet sie die Ignoranz, die psychische Vernachlässigung nochmals durch, was Dana Proetsch insbesondere in einem der längeren Monologe auch definitiv spüren lässt.
Doch wirklich berühren lässt sich die Mutter davon nicht. Es wird ihr nur zunehmend unangenehm, so dass sie einfach früher wieder abhauen will. Dafür ruft sie ihren Agenten an, der möge doch ein Telegramm schicken, in dem ein gaaaanz wichtiger neuer Termin für die Pianistin anstehe. Und obwohl Eva offensichtlich dieses Telefonat unabsichtlich mitbekommt, fühlt sie sich am Ende schuldig, die Mutter vertrieben zu haben – fast das Drama eines begabten Kindes, wie es die populärwissenschaftliche Psychologin und Autorin Alice Miller immer wieder nannte, wenn Kinder zwanghaft unausgesprochen Wünsche ihrer Eltern (über-)erfüllen.
Vierundachtzig (84) – hat sich als DIE Zahl für Dystopien etabliert. Weil George Orwell seinen Roman „1984“ über einen auf totale Überwachung und schönfärberische Umbenennungen basierenden Staat 1948 fertig geschrieben hatte, verwendete er den Zahlendreher für seinen Titel. Vor knapp einem Jahrzehnt veröffentlichte Jostein Gaarder (bekannt nicht zuletzt von „Sofies Welt“) „2084 – Noras Welt“, das er in einem Interview mit dem hier schreibenden Journalisten und zwei jugendlichen Schnupperschülerinnen „nicht meine bestes, aber mein wichtigstes Buch“ nannte. Klimawandel, dystopische Vorstellungen vernichteter Natur und ein Brief aus der Zukunft an die vor zehn Jahren lebende Urenkelin Nora, um aufzurütteln – Link zu diesem Artikel am Ende dieses Beitrages.
Nun switchen wir mit „Theater Ansicht“ ins Jahr 4084 zur Performance „Coming Soon“. In den Ottakringer SoHo-Studios (Details siehe Info-Block) spielen, singen und tanzen zwei Darsteller:innen in goldenen großen „Babystramplern“ (Christoph-Lukas Hagenauer und Johanna Ludwig) und in der selben Farbe geschminkt zwischen künstlerischen Ausstellungsobjekten und Bildern von archäologischen Ausgrabungen unserer Gegenwart. In federnden Gängen und einer mit englischen Einsprengseln irgendwie vorarlbergisch gefärbten Sprache, begrüßen sie das Publikum und beziehen es in der Wanderung zwischen den Bildern und Skulpturen immer wieder mit ein.
Die Besucher:innen sind Menschen aus der mehr als 2000 Jahre zurückliegenden Vergangenheit, also der Jetztzeit. Lange tiefgefroren, eben wieder aufgetaut, sollen sie für die beiden Forscher:innen das Mysterium erklären, haben sie den Planeten zerstört (Ökozid) oder konnten sie das doch aufhalten?
Wobei dieses „Vehikel“, um auf die aktuelle umweltzerstörerische Handlung – eines Teils der Menschheit vor allem des globalen Nordens – aufmerksam zu machen, aufzurütteln, zum Handeln, um die Klimakatastrophe zu verhindern, vielleicht doch ein bisschen zu pädagogisch kommt (Konzept und Co-Regie: Julia Meinx, Flo Staffelmayr). In mehr als 2000 Jahren wird es wohl zu sehen, merken, erleben sein – was der Menschheit ge- oder misslungen sein wird. Die Anstupser zum Nachdenken sind hin und wieder aber auch ironisch verpackt.
Als dritte im Bunde schieben die beiden eine – nicht gold-gefärbte – Kollegin (Katja Herzmanek) in einem durchsichtigen Kobel – von den Theaterleuten „Mama-Mobil“ (als Gegenstück zum päpstlichen Papa-Mobil) genannt – ins Geschehen. Die aus ihrer Vitrine vor allem fast ohrwurmartige Songs liefert, die draußen aufgenommen werden und mitunter recht sarkastisch den Weg in den Weltuntergang besingen. Aus dem Ton-Regiepult im Hintergrund löst sich gegen Ende auch die Musikerin und Co-Regisseurin Julia Meinx, um mitten im Geschehen einen Song mit Gitarre zu begleiten.
Das Publikum wird immer wieder direkt angesprochen, in 1, 2 oder 3-Manier gebeten sich zu entscheiden – etwa ob die Welt an Kriegen, Krankheiten oder der Klimakrise zugrunde gehen werde. Wobei die Welt, der Planet wird so und so noch Milliarden Jahre überleben – die Frage ist nur, ob mit Menschen oder ohne – und damit einer Reihe von Tierarten, die wir, wie schon viele, mit-ausrotten.
Interview mit Jostein Gaarder – damals noch im Kinder-KURIER
Itzik Hanuna ist ein Schauspieler im Theater Na Laga’at in Jaffa, dem südlichen, arabischen Teil von Tel-Aviv (Israel). Und das seit Langem, obwohl der 59-Jährige in dieser Profession erst ein Spätberufener ist. „Eigentlich wollte ich gar nicht Schauspieler werden, aber das Theater hat mich vor vielen Jahren gefragt. Und ich hab dann doch zugesagt“, erzählt er den Vertreter:innen des internationalen Projekts, das sich mit Inklusion durch Kreativität und Kunst beschäftigt (Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… hat mehrfach berichtet – Links unten am Ende dieses Berichts).
Der 59-Jährige stellt im Workshopraum des Theaters den Teilnehmer:innen aus Schweden, Belgien, Polen, Deutschland, Österreich und natürlich Israel (aber die kannten ihn und das schon) sein erstes Buch vor. Mit den Fingern streicht er über die weißen Seiten mit erhabenen Punkten – in Braille-Schrift. Hanuna wurde blind geboren. Im Alter von ungefähr elf oder 12 Jahren verlor er aufgrund einer Meningitis-Erkrankung auch sein Gehör. Die Lautsprache hatte er da natürlich schon lange verwendet. Aber wie kommen Fragen, wie anderes Gesagtes an ihn?
Dazu entwickelten er und das sehr auf Inklusion bedachte Theater eine eigene Sprache. Neben ihm sitzt bei der Buchpräsentation Neta Yona von Na Laga’at und tippt auf die Handrücken des Schauspielers – und Autors. Im Gegensatz zum Lormen, das oft von Taubblinden zur Kommunikation mit anderen verwendet wird, nicht auf die Hand-Innenflächen, sondern außen. Da Itzik Hanuna sein Leben lang schon in Braille las und schrieb, erfanden er – und seine Kolleg:innen eine Art getastete Braille-Schrift auf beide Handrücken – Glove-Language Handschuh-Sprache) nannte das die Theatermanagerin Efrat Steinlauf.
Wie schon im Artikel „Vom Mitleid zur Bereicherung“ angeführt, versteht sich Na Laga’at als inklusives Kulturzentrum – auf Augenhöhe von Menschen mit und ohne Behinderung(en) -, mit 70 der 100 Beschäftigen, die gehörlos, blind oder beides sind. Und dies auch in Leitungsfunktionen, u.a. fast „natürlich“ in der Abteilung für Accessability (Zugänglichkeit). Es soll nicht nur in den Vorstellungen und Workshops fürs Publikum, sondern auch im eigenen Betreib auf Barrierefreiheit und Inklusion geachtet werden. Und so bot das gastgebende Theater den internationalen Gäst:innen auch einen Workshop in israelischer Gebärdensprache an – denn, was viele oft nicht wissen, Gebärdensprachen unterscheiden sich auch – oft nicht so stark wie Lautsprachen aber doch.
Parallel zum oben genannten EU-Projekt fand in dem Theaterhaus am alten Hafen von Jaffa- Tel-Aviv ein – aus einem anderen EU-Projekt unterstütztes Festival – Theater ohne Grenzen – statt – auch darüber berichtete KiJuKU schon. Und eine Diskussion und Präsentation verschiedener Theater- und Kulturprojekte mit unteschiedlichen, durchaus auch gegensätzlichen Zugängen. So setzte die Leiterin des schwedischen Riksteatern-Crea, Mindy Drapsa, auf ausschließlich gehörlose Künstler:innen und bezeichnete gehörlose Schauspieler:innen, die mit hörenden Regisseur:innen arbeiten würden als Marionetten. Der Vertreter aus Österreich, Gründer und Leiter von Arbos – Gesellschaft für Musik und Theater, Herbert Gantschacher hingegen sprach sich für die gleichberechtigte Zusammenarbeit hörender und gehörloser Künstler:innen aus.
Compliance-Hinweis: Die Berichterstattung konnte/kann nur erfolgen, weil Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … im Rahmen des EU-Projekts von ARBOS auf diese Reise eingeladen worden ist.
und hier
Bevor die Vorstellung beginnt, wird kurz ein Podest vor die Eingangstür in den Theatersaal aufgestellt. Zwei Leute besteigen es, Yaroslav Bernatsky hält aus einer Mappe groß gedruckte Wörter in Hebräisch und Englisch in Richtung der versammelten Zuschauer:innen, Alaa Arafeh übersetzt Willkommen, Bitte, Danke, Applaus und den Namen des Theaters und Inklusionszentrums Na Laga’at in (israelische) Gebärdensprache. Die ist hier in der ehemaligen Lagerhalle am alten Hafen von Jaffa allgegenwärtig.
Gehörlose ebenso wie blinde Schauspieler:innen und Tänzer:innen performen hier praktisch täglich. Ausgehend von einer Gehörlosen-Theatergruppe vor fast 20 Jahren entwickelte sich das Theaterhaus, das zuerst nur für die eigene Community ein wichtiger Treffpunkt war, bevor es unter neuer Leitung sich bewusst nach außen öffnete. Immer wieder kommen Besucher:innen vielleicht mit einer mitleidsvoll-gönnerhaften Einstellung zu Vorstellungen und verlassen mit Schamgefühl über die eigenen Vorurteile einer- und bereichert durch eindrucksvolle Aufführungen andererseits das Theaterhaus.
Mit manchen Aufführungen tourte das Theater durch mehr als die halbe Welt, Stücke wurden von mehr als einer Million Menschen gesehen. Famos „Brot“, in der ausgehend vom Bibelspruch, dass „der Mensch nicht vom Brot allein lebt“ der gesamte Vorgang vom Herstellen des Teigs bis zum Backen des Brots live auf den Bühnen vor sich geht. Die anfangs mit Masken auftretenden Schauspieler:innen – und in dem Fall auch Bäcker:innen – nehmen diese einzeln dann ab, wenn sie über sich und ihr Leben erzählen. Und mit dem Öffnen des Ofens gegen Ende erfüllen sie die Theaterräume jeweils auch noch mit dem Geruch des gebackenen Brotes – und laden (nicht bei Corona-Beschränkungen) das Publikum ein, auf die Bühne zu kommen., Brot zu kosten und mit den Künstler:innen ins Gespräch zu kommen.
Zu den ergänzenden Einrichtungen bei Na Laga’at gehört längst auch ein Restaurant, seit ein paar Jahren auch eines „im Dunklen“ – von außen in Form eines Schiffes -, Workshops in (israelischer) Gebärdensprache, die u.a. von vielen Schulklassen in Anspruch genommen werden. Seit ungefähr einem Jahr läuft auch eine eigene Schauspielakademie, um weitere Bühnenwillige professionell ausbilden zu können. Von den rund 100 Beschäftigen des Zentrums sind mehr als zwei Drittel (70) gehörlos, blind oder beides). Übrigens mehr als die Hälfte (60%) des jährlichen Budgets von umgerechnet rund 2,8 Millionen Euro werden durch Eintritte, Workshop-Gebühren, im Restaurant usw. verdient, ein Fünftel steuert die öffentliche Hand bei, die anderen fehlenden 20 % müssen über Spenden aufgebracht werden.
Na Laga’at – auf Deutsch „bitte berühren“ ist Teil eines internationalen Projekts mit dem etwas sperrig klingenden Titel der „Europäische und internationale Partnerschaften zur Entwicklung von Fähigkeiten und sozialer Inklusion mittels Kreativität und Kunst“ (European partnership for the development of skills and social inclusion through creativity and arts). Theater- und Kulturgruppen bzw. Institutionen aus Polen, Belgien, Schweden, Österreich und Israel arbeiten in diesem von der EU geförderten Projekt zusammen, treffen einander in den beteiligten Städten, um Erfahrungen auszutauschen. Über jenes im polnischen Łódź hat Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr… im Herbst des Vorjahres schon berichtet – Link unten am Ende des Beitrages. Die anderen beteiligten Kulturinitiativen und -einrichtungen sind: Poleski Osrodek Sztuki, Instytut Tolerancji w Łodzi (Łódź, Polen), Theater Van A tot Z (Antwerpen, Belgien), Possible World, Norrköpings Stadsmuseum (Sweden), ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater (Klagenfurt/Salzburg/Wien, Österreich) und in diesem Fall dem gastgebenden Na Laga’at (Jaffa, Israel).
Zurück zum aktuellen Treffen in Jaffa, dem südlichsten und ältesten Teil von Tel Aviv (Israel): Am frühen Abend war im Workshopraum die Tanzperformance „Hirten“ (Sheperds) zu erleben. 13 Tänzer:innen – davon nur fünf Sehend – bewegten sich erst vorsichtig, dann mitunter immer wilder durch den Raum, „sahen“ einander durch Berührung, sanftes gegenseitiges Abtasten ihrer Gesichter. Fanden Geborgenheit in kleineren und größeren Gruppen, die sie auch wieder verließen, um allein oder zu zweit auf Erkundungstour zu gehen. Viele verwandelten sich – auf allen Vieren – in Tiere, die von den Hirt:innen behütet werden. Aber nicht nur. Eine (blinde) Hirtin vertraute ihren „Schafen“, die sich zu einem gemeinsamen Hügel zusammengestellt hatten, derart, dass sie sich rücklings darauf legte und tragen ließ.
So nebenbei sei darauf hingewiesen: Inklusion ist mittlerweile zu einem Wort, einem Begriff geworden, der seit einiger Zeit scheint’s in fast aller Munde ist. Aber… naja, was Praxis und Umsetzung betrifft, ist noch – um’s charmant auszudrücken – viel Luft nach oben. Erst kürzlich wiesen Aktivist:innen und Organisationen darauf hin, dass die vielleicht bekannteste Aktion in Österreich, die sich das Thema Menschen mit Behinderung auf ihre Fahnen heftet, „Licht ins Dunkel“ noch immer eher das Bild von Mitleid heischen und über den Kopf streicheln vermittelt. Dabei hatte schon vor weit mehr als zehn Jahren Betroffene mit der „Nicht ins Dunkel“ genau diese Haltung massiv kritisiert.
Aber, hier soll gar nicht gejammert, sondern die Berichterstattung über das oben genannte internationale Projekt fortgesetzt werden – weitere Berichte folgen.
Compliance-Hinweis: Die Berichterstattung konnte/kann nur erfolgen, weil Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … im Rahmen des EU-Projekts von ARBOS auf diese Reise eingeladen worden ist.
und hier
Zum 16. Mal werden die besten heimischen Kinder- und Jugendtheaterstücke sowie darstellerischen Leistungen, Musik bzw. Ausstattung ausgezeichnet. Stella heißen diese Awards der Österreich-Sektion der internationalen Kinder- und Jugendtheatervereinigung ASSITEJ. Im Frühjahr wurden die Nominierungen für Stella.Darstellender.Kunst.Preis bekanntgegeben. Die Verleihung steigt am 7. Oktober in der Burgtheater-Spielstätte Kasino am Schwarzenbergplatz.
Vom 1. Oktober an sind in einem Festival die nominierten Stücke in den Spielstätten Dschungel Wien, Burgtheater und WuK (Werkstätten- und Kulturhaus) zu sehen, eines in Linz und ein anderes mehrfach in Schulen – Link zum Festivalplan unten am Ende des Beitrages.
Nach – hoffentlich – einigermaßen überstandener Pandemie findet das Festival bei dem möglichst viele der acht nominierten Stücke auf verschiedenen Wiener Bühnen – Dschungel Wien, WuK sowie Burgtheater – gezeigt werden, ab 1. Oktober 2022 statt – samt Side-Events wie Diskussionen, Begegnungen mit den Juror:innen usw. Hier die Liste der Nominierten – bei den Stücken entweder mit Kürzest-Beschreibungen oder bei vielen, die Kinder I Jugend I Kultur I Und mehr … schon gesehen hat, mit Links zu den Rezensionen
* „Schnaufen“ vom Mezzanin Theater in Koproduktion mit der TanzCompanyELLA; ab 4 Jahren; Steiermark; ein Tanztheater über das Alleinsein und die Wiederentdeckung der Leichtigkeit des Lebens miteinander
* „Hilfe! aber: … das Knistern, wenn man Wasser in einen Tontopf mit trockener Erde gießt“ von Material für die nächste Schicht; ab 6 Jahren; Kärnten; ein performatives Chaos, in dem das Scheitern an der Tagesordnung steht – oder eben nicht: es wird gelebt und versucht andere zu unterstützen und gemeinsam etwas zu schaffen. Immer wieder von neuem.
* „Ich, Ikarus“ vom Burgtheaterstudio; ab 9 Jahren; Wien
* „Zwei Tauben für Aschenputtel“ vom Jungen Landestheater Linz; ab 6 Jahren; Oberösterreich; in dieser Version des bekannten Märchens wird Aschenputtel frech, mutig und lässt sich nicht so von den Schwestern und der Stiefmutter unterdrücken.
* „Else (ohne Fräulein)“ vom Vorarlberger Landestheater; ab 13 Jahren; Arthur Schnitzler stürzte Fräulein Else vor beinahe 100 Jahren in Konflikte, die auch heute noch eine Menge unbequemer Fragen aufwerfen. In dieser Version ist Else eine in der Gegenwart lebende junge Frau zwischen medialem Körperkult und Selbstverwirklichung, zwischen dem Streben danach, im Leben wahr- und ernstgenommen zu werden, und dem jugendlichen Drang zur Rebellion.
* „Mädchen wie die“ vom Burgtheaterstudio; ab 13 Jahren; Wien
* „Kohlhaas – Moral High Ground“ von Follow the Rabbit; ab 13 Jahren; Steiermark
* „Lover`s Disco(urse)“ von VRUM Performing Arts Collective, Dschungel Wien & KLIKER Festival; ab 15 Jahren
Die Jury – Felicitas Biller, Christoph Daigl, Christian Ruck und Yvonne Zahn – hat sich für 23 Nominierungen in 5 Kategorien sowie einer Sonderkategorie entschieden – von 18 unterschiedlichen österreichischen Theatergruppen/-häusern/-festivals aus acht Bundesländern, die im Jahr 2021 zu sehen waren. Gesichtet wurden rund 120 Produktionen aus ganz Österreich – aufgrund von der Pandemie notgedrungen viele Stücke nur als Video-Aufzeichnungen.
Neben den acht Produktionen nominierte die Jury noch für
* Lisa Rothhard in „Iason“; Next Liberty; Steiermark
* Raphael Kübler in „Eine Weihnachtsgeschichte“; Tiroler Landestheater Innsbruck
* Sofia Falzberger, Alduin Gazquez, Kerstin Jost, Adrian Stowasser als Ensemble in „#schalldicht“; Theater Phönix; Oberösterreich
* Lena Hanetseder, Florentine Konrad, Antonia Orendi, Maria Prettenhofer als Ensemble in „NAH“; TaO! Theater am Ortweinplatz; Steiermark
* Michael Haller für Bühne in „BLUB. Eine Reise in die Tiefe“; Theater.NUU; Wien
* Sigrid Wurzinger für Bühne und Kostüm in „Die lachende Füchsin“; TOIHAUS Theater; Salzburg
* Thomas Garvie, Oliver Stotz und Wolfgang Pielmeier für die Bühne und Ausstattung in „Nachts“; VRUM Performing Arts Collective; Wien
* Vincent Mesnaritsch für die Bühne in „In 80 Tagen um die Welt“; Schauspielhaus Salzburg
* Gudrun Plaichinger, Raúl Rolón und Yoko Yagihara „Tempo Tempi“; TOIHAUS Theater; Salzburg
* Steffi Baron-Neuhuber in „Über Piratinnen – Geschwestern der See“; Töchter der Kunst & Radical Kitsch Ensemble; Niederösterreich
* Robert Lepenik und das Ensemble in „NAH“; TaO! Theater am Ortweinplatz; Steiermark
* Peter Plos und Andreas Grünauer Ensemble in „MeinAllesaufderWelt“; Kollektiv kunststoff; Wien
Außerdem schlägt die Jury drei Produktioen vor für einen
* „Kalaschnikow – mon amour“; Dschungel Wien; ab 14 Jahren
* „MeinAllesaufderWelt“; Kollektiv kunststoff; ab 16 Jahren; Wien
* „Jakob im Kleid“; Salzburger Landestheater; ab 10 Jahren; mobile Produktion vor allem als Klassenzimmertheater; offenkundig – wenngleich leider nicht ausgewiesen – offenkundig inspiriert vom Jugendbuch David Williams‘ „Kicker im Kleid“ und dem Bilderbuch „Jo im roten Kleid“. Übrigens war eine Tanztheaterversion des Grazer Mezzanintheaters frei nach diesem Buch von Jens Thiele schon 2017 für einen Stella nominiert.
Stella22_Programmheft_Timetable
Was wäre, wenn wir einen Tag lang den ganzen Mist den wir produzieren, eigentlich meistens „nur“ kaufen – als Verpackung von Lebensmitteln und Konsumgütern, nicht wegwerfen, sondern mit uns rumschleppen müssten? Dieses Gedankenexperiment setzte einst der US-amerikanische Aktivist für eine (klima-)gerechtere Welt Rob Greenfield (so heißt er wirklich!) in eine Aktion um. Er sammelte den Müll eines Monats, reinigte ihn und band ihn sich rund um seinen Körper. Damit wanderte er durch Städte, um die großen Mengen Abfall jeder und jedes Einzelnen innerhalb von 30 Tagen anschaulich zu machen.
Dieses Bild eines Trashman, Trashformer bringt die Tanz-Company Two in One auf die Bühne des Kinder- und Jugendtheaterhauses Dschungel Wien. In „Die Insel“, ausgedacht und inszeniert von Ákos Hargitay tanzt Łukasz Czapski in solch einem Müll-Anzug. Und das schaut ganz arg monströs aus, schränkt ihn auch kräftig in seiner Bewegungsfreiheit ein. Hin und wieder verliert er im Tanz, der fast an eine Art Roboter erinnert, das eine oder andere (gereinigte) Mist-Stück auf der Tanzfläche. Dass diese ausschließlich von seiner Tanzpartnerin Elda Gallo, die nicht so voluminös, sondern „nur“ aus umgeschneiderten Werbeanner gekleidet ist, eingesammelt werden…? Im besten Fall eine kritische Darstellung, dass (noch immer) oft Frauen für die Aufräumarbeiten hinter Männer-Mist zum Einsatz kommen.
Die Tanz-Passage in Re- und Upcyling-Kostümen (Norma Fülöp) ist der zentrale Teil des Stücks, das ansonsten noch so manches an Informationen – und Poetisch-Atmosphärischem (Musik, Klanginstallation: Gammon; Dramaturgie, Assistenz: Michaela Hargitay) umfasst. Da sind vor allem auch die beeindruckenden Foto- und Video-Einblendungen: Vom futzi-winzig kleinen blauen Punkt im großen Universum, der sich beim heran-Zoomen natürlich als unsere Heimat, der Planet Erde, entpuppt bis zu Blicken in ferne Galaxien, oder auf die erschreckende Temperatur-Anstiegs-Grafik. Oder ein Graffiti der berühmtesten Jugendlichen der Welt, Greta Thunberg – zu Zitaten von ihr.
Über Bilder – jene, die zu sehen sind aber auch die, die sich in den Köpfen der Zuschauer:innen ergeben – vermittelt die mehr als ¾-stündige Performance Wissen und Gefühl: Wir sollten dringend achtsam(er) mit der Welt umgehen. Da hätte es das Einleitungs-Video von Mastermind Ákos Hargitay – jedenfalls nicht in dieser Länge – gebraucht. In diesem sinniert er beim Nassrasieren (übrigens in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Öl-Krise wieder populär geworden), dass in den Pandemie-bedingten Lockdowns ein Runterfahren von Vielem wie Fliegen, Verkehr usw. möglich wurde, und … Highlight in diesem Schwarz-Weiß-Video vor Spiegeln, in denen der Protagonist praktisch isoliert mit sich selbst redet ist allerdings die Selbstironie. Durch einen Anruf seiner Frau kommt er drauf, dass er schon Unmengen Wasser vergeudet hat, da er beim Rasieren die Leitung laufen hat lassen 😉
Ergänzt „Fridays for Future“ durch „Everyday for Future“ ist die Botschaft des – streckenweise auf Englisch gespielten Stücks – weitere Aufführungsserie im April 2022.
Vorbei am Heeresgeschichtlichen Museum, weiter am Rande des riesigen Geländes Arsenal liegen die von Art for Art. Bekannt vor allem dafür, dass hier für die Bundestheater Kulissen, Requisiten gebaut, Kostüme geschneidert werden, eben Kunst für (Bühnen-)Kunst angefertigt wird. Hier gibt es auch Proberäume.
In einem solchen fällt beim Besuch einer Probe von „Zoes sonderbare Reise durch die Zeit“ vor allem eine riesiger Kleiderberg im Mittelteil der hohen „Bretter, die die Welt bedeuten“ auf. Davor ein Haufen Kunststoffteile, aufs erste einmal als „Klumpert“. Allerdings nicht ganz versteckt auch ein kunstvoll gestaltetes Objekt, das an eine Sauerstoffflasche für Taucher:innen erinnert.
Nach und nach trudeln Schau- und Figuren-Spieler:innen in den Proberaum, begeben sich auf die hohe Bühne vor der eine laaaaaaaaaaaaange Tischreihe steht, an der Regisseurin, Regie-Assistentin, Übersetzerin – Das Stück ist ursprünglich englisch und in dieser Sprache kommuniziert auch die Britin mit dem Team -, Souffleurin Platz genommen haben.
Aufwärmen ist angesagt. Im Gegensatz zu vielen anderen Theater(gruppen) scheint hier niemand den Ton dafür anzugeben. Das Bühnen-Team lockert Körper(-teile) zwar im Kreis, aber eher selbstbestimmt – natürlich aufeinander eingehend und reagierend. Schließlich geht’s bei einem Stück ja nicht nur daran, dass alle Muskeln gelockert, alle Beine, Arme usw. aufgewärmt sind, sondern der Kopf sich nicht nur als Körperteil entsprechend der Szene dreht und bewegt, sondern Text aus dem Mund kommt und aufeinander reagiert wird, um miteinander agieren zu können…
So, bevor’s nun weiter zu Eindrücken von der Arbeit an Szenen geht, zunächst einmal knappest zusammengefasst, worum sich das Stück dreht. Die Hauptfigur sieht sich 100 Jahre in die Zukunft versetzt, auf eine Insel – voller Plastik. Aus dieser Erfahrung – Lebewesen, die zu einem Großteil aus Kunststoff bestehen – will/muss sie zurück in die Gegenwart, um zu warnen, aufzuklären, zu retten …
Ein Stück mit dringender Aufforderung, ihr dabei zu helfen, sozusagen zu verstärken, was Fridays For Future seit rund drei Jahren, „Plant für the Planet“ seit fast 15 Jahren, Wissenschafter:innen seit Jahrzehnten machen. Nachdem bisher – wie derzeit zu befürchten bei Cop26, der 26. Klimakonferenz der Vereinten Nationen, im schottischen Glasgow, – viel zu wenig getan wurde/wird, um den Planeten als Lebensraum für Menschen und viele Tiere zu bewahren, will auch dieses Stück mithelfen. Dazu mehr im Gespräch mit der Co-Autorin (gemeinsam mit Jimmy Osborne) und Regisseurin Sue Buckmaster – hier unten.
So, jetzt aber, rauf auf die Bühne. Zwischen dem schon oben beschriebenen Kleiderberg – vieles aus Mikroplastikfasern –, den Kunststoffteilen und einer hölzernen Waschmaschine – deren Trommel das Portal für die Zeitreise ist, trifft Zoe (Safira Robens) auf Tupperware (Dorothee Hartinger) und Oil Man (Wolfram Rupperti) – und auf einen Pelikan. Wie und wo der auftaucht – das ist ein Geheimnis, das auf Wunsch nicht nur der Regisseurin noch geheim bleiben soll. Jedenfalls müssen sich die Schauspieler:innen mit dem – von Figurenspieler:innen (Teele Uustani, Maximilian Tröbinger und Stellan Torrn) bewegten großen Vogel „anfreunden“. Ihre Bewegungen mit ihm abstimmen.
Schrittweise nähern sich Robens, Hartinger und Rupperti dem von den jeweils zwei aus drei (Uustani, Tröbinger und Torrn) geführtem, gehaltenem, getragenem Kunststoffwesen an. Ganz zufrieden zeigt sich Buckmaster trotz immer besserer Synchronisierung nicht. „Lassen wir doch einmal den Pelikan weg“, schlägt sie vor, dass Schau- und Figuren-spieler:innen alleine miteinander agieren. „Wir müssen in ein gemeinsames Atmen kommen“, gibt sie dem Sextett auf der Bühne mit auf den (Flug-)Weg. Schritt, Schritt, Schritt, Arme ausbreiten wie Flügel. Immer und immer wieder. Nach einigen Wiederholungen stellt sich der gewünschte Effekt ein: Wie ein fast riesiges gemeinsames Lebewesen bewegen und atmen die Bühnen-Akteur:innen. Und jetzt mit dem Vogel. Juhuuu, es klappt.